Schnellverfahren gegen Klimaaktivisten: Schnell gescheitert
Das Amtsgericht Tiergarten schafft Spezialabteilungen für Schnellverfahren gegen Klimaaktivist*innen ab. Die Beweislage sei zu selten eindeutig.
Im Sommer 2023 waren die Spezialabteilungen am Amtsgericht Tiergarten auf Beschluss der Staatsanwaltschaft eingerichtet worden, um Klimaaktivist*innen schneller vor Gericht bringen zu können. Beschleunigte Verfahren sind unüblich, aber laut Strafprozessordnung möglich, „wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“. Die Beweislage sei bei Klimakleber*innen jedoch nur selten ganz klar, sagt die Sprecherin des Gerichts.
Von den 197 Anträgen auf ein beschleunigtes Verfahren, die die Staatsanwaltschaft beim Gericht stellte, gingen nur 11 durch. 137 sind noch offen, 48 wurden abgelehnt. Wie die Gerichtssprecherin sagte, seien bei den Fällen umfangreiche Ermittlungen, etwa hinsichtlich der Dauer und Intensität des Anklebens, der Länge des erzeugten Staus oder der Ausweichmöglichkeiten erforderlich gewesen.
Vergehen, die für Schnellverfahren als ungeeignet eingestuft wurden, wurden anschließend zu regulären Verfahren in andere Gerichtsabteilungen überführt. Das sei ineffizient gewesen, weshalb die Spezialabteilungen nun aufgelöst würden, erklärt die Sprecherin. Die Anträge auf Schnellverfahren werden jedoch weiterhin gestellt. Die Zuständigkeit der Rechtsprechung, die sich durch die Spezialabteilungen auf zwei Richter*innen verengt hatte, wird jedoch nun auf 67 Abteilungen des Amtsgerichts verteilt. Dadurch sollen die Strafverfahren effektiver gestaltet werden.
Die Staatsanwaltschaft hält trotz des Scheiterns an ihrer Position fest: Es sei eindeutig, dass das Ankleben ein einfacher Sachverhalt und damit ein „Großteil der Fälle“ für ein Schnellverfahren geeignet sei, so Sprecher Sebastian Büchner. Zudem sei nicht ersichtlich, warum manche Fälle für beschleunigte Verfahren als geeignet eingestuft würden, andere jedoch nicht.
Kritiker*innen sehen das anders. Bei den Klimaprotesten handele es sich um „komplexe Sachverhalte und eine schwierige Beweislage“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Petra Vandrey. Der Republikanische Anwältinnenverein hatte die Schaffung der Sonderabteilung für Schnellverfahren als „Politisierung von Strafverfahren“ kritisiert, die vermieden werden müsse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren