Schneegestöber (8): Endstation Unfallkrankenhaus: Schlechter Rutsch
Wenn es im Wintersport kracht, führt der Weg oft ins Unfallkrankenhaus Berlin.
Das Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn ist ein beliebter Treffpunkt für Rodler. Aus dem ganzen Stadtgebiet und sogar dem brandenburgischen Umland folgen die Patienten dem guten Ruf des Krankenhauses.
Der Schweizer Snowboardlehrer Silvio Guerriero war für die taz vor Ort: "Da liegen 30 Zentimeter unberührter Tiefschnee", berichtet der Wintersportexperte. Zum Schlittenfahren sei der allerdings nicht geeignet: "Da geht gar nichts, alles endflach, nicht mal zugeschneite Treppen gibt es", sagt der Tester.
So viel Winter war selten. Doch wo herrschen die besten Bedingungen, um Schnee und Eis vollendet zu genießen? Die taz testet täglich Berlins Ski-, Eis- und Rodelgebiete. Heute: das Unfallkranken- haus Berlin in Marzahn.
Schneequalität: Unberührter Tiefschnee von mindestens 30 Zentimetern Höhe.
Bahnqualität: Null Steigung, insofern mäßig, aber die Rodler, die sich hier treffen, fahren vorher sowieso woanders.
Konkurrenz: Nicht ernstzunehmend, da die meisten in der Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind.
Après-Ski-Potenzial: Das Unfallkrankenhaus bietet nur die karge Auswahl zwischen Tee auf dem Zimmer oder Eierlikör in der Cafeteria. Also: mäßig.
Gerrit Matthes, Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie hier im Krankenhaus, korrigiert ihn: "In den Gärten der Welt, gleich um die Ecke, kann man angeblich ganz gut fahren", sagt er und fügt hinzu: "In Berlin ist das ja total irre, jeder Hang von Steigung und Länge einer Kellertreppe wird berodelt." Dementsprechend viele Unfälle hat das Krankenhaus zurzeit zu verarbeiten. Matthes sagt: "Durch wetterbedingte Stürze sind wir derzeit ordentlich belastet. 60 bis 70 solcher Patienten behandeln wir pro Tag."
Wie hoch unter diesen die Zahl der Wintersportler ist, kann Matthes nicht sagen. Doch die potenziell gefährlichste Sportart sei leicht auszumachen: "Bei Skifahrern und Snowboardern sind Helme und Protektoren immer stärker vertreten. Bloß das Schlittenfahren wirkt erst mal so putzig, als würde man so etwas dort nicht brauchen", sagt der Experte.
Dabei ist auch mit dem Rodel nicht zu spaßen: ausgeschlagene Zähne, Gehirnerschütterungen, Handgelenksbrüche und Unterschenkelbrüche sind oft die Folge. Matthes erklärt: "Wenn man mit dem Schlitten mit einem Baum oder einem anderen Fahrer kollidiert, verdrehen sich die zum Bremsen ausgestreckten Beine relativ leicht, das gibt komplizierte Brüche." Handgelenkbrüche und Gehirnerschütterungen seien durch missglückte Versuche, sich abzufangen, zu erklären. "Kopfüber die Piste runter ist wohl mit das Gefährlichste", erklärt der Experte. Und auch Alkohol und Schlittenfahren würden sich eher nicht vertragen. "Das ist ja doch eine ziemliche Geschwindigkeit, die man da draufkriegt, da braucht man Reaktionsvermögen", sagt der bekennende Wintersportler Matthes.
Wenn dann auch noch die Eisflächen erobert werden, "haben wir richtig viel zu tun", fügt er hinzu. Denn auch Eisläufer würden sich häufig die Handgelenke brechen. "Da merkt man hier richtig einen Unterschied im Andrang, wenn die Schlittschuhläufer loslegen", so der Oberarzt. Der 38-Jährige fährt selbst Ski und Schlittschuh, dabei sei ihm noch nie etwas passiert. "Da ist auch Glück dabei, aber mir sind die Gefahren relativ bewusst", sagt Matthes.
Die Anfahrt zum Rodlertreff "Unfallkrankenhaus Berlin" ist äußerst simpel: "Die meisten bringt der Rettungswagen", so Matthes. Und der Ort lädt offenbar durchaus zum Verweilen ein: "Fünfzig Prozent der Sturzpatienten sind operationspflichtig, die bleiben dann erst mal hier", sagt er.
Die Möglichkeiten zum Après-Ski sind allerdings rar gesät. Auf den Zimmern gibt es wahlweise Wasser, Tee oder Saft. Und "Das einzige alkoholische Getränk in der Cafeteria ist Eierlikör", berichtet Pistentester Guerriero angewidert. MARTIN SCHWARZBECK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!