Schneechaos im Freistaat: Bahn, Bayern, Endstation
Schnee und Kälte haben den Bahnverkehrin Südbayern lahmgelegt. So etwas in Zukunft zu verhindern, wird nicht leicht, ist aber auch nicht unmöglich.
Bayerische Bäume können dem Gewicht der Schneemassen nicht standhalten und stürzen auf Bahngleise. Wie so oft aber, wenn in Bayern was nicht funktioniert, ist Berlin schuld. So auch jetzt am totalen Stillstand des öffentlichen Nahverkehrs in München.
Am Boden, Dutzende Zentimeter unter der weißen Decke, vereisen Weichen, Heizsysteme springen nicht an. In der Höhe frieren Oberleitungen ein. Frieren tun auch die Menschen am Münchner Hauptbahnhof, die vergeblich auf die Abfahrt ihrer Züge warten – einige so lange, dass sie die Nacht im ICE verbringen müssen. Zahlreiche Bahnstrecken rund um die bayerische Landeshauptstadt werden gesperrt, der Zugverkehr von dort und dorthin steht still. Innerhalb der Stadt fährt keine Tram. Auch der Flughafen muss seinen Flugbetrieb für mehrere Tage fast komplett einstellen.
Auf der Schiene geht tagelang nichts mehr. Der Deutschen Bahn und dem Münchener Verkehrsbetrieb MVG fehlen Räumfahrzeugen. Tramfahrer:innen müssen selbst Hand anlegen und mit Eiskratzer und Salzeimer Meter für Meter ihrer Strecken freilegen. Am Freitag, immerhin, waren die meisten Linien – oder besser: „Eiskutschen“, wie in leuchtenden Lettern auf einigen der Züge stand – wieder in Betrieb. Verspätungen und Ausfälle aber gab es nach wie vor.
Die Deutsche Bahn bittet um Entschuldigung und verweist auf die extreme Wetterlage, genau wie Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU): „Was wir in München erlebt haben, war kein normaler Wintereinbruch, sondern die größte Schneemenge in München seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Das war eine extreme Sondersituation in kürzester Zeit.“ Tatsächlich hat es in München am ersten Dezemberwochenende so viel geschneit wie noch nie in einem Dezember seit Anfang der 1930er Jahre, satte 45 Zentimeter türmten sich auf. Am Mittwoch danach, dem Nikolaustag, gesteht Bernreiter aber auch: „Die Situation auf der Schiene dauert jetzt schon deutlich zu lange an“, die Bahn müsse sich in Zukunft besser für Extremsituationen wappnen. „Da ist deutlich gespart worden, zum Beispiel beim schweren Räumgerät“, beklagt der Landesverkehrsminister.
Ein CSU-Desaster
Maßgeblich verantwortlich fürs Sparen waren die Bundesverkehrsminister, von 2010 bis 2021 Bernreiters CSU-Parteikollegen Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Christian Schmidt und Andreas Scheuer. „Nach jahrzehntelanger Sparpolitik“ sei die Bahn nun eben „auf Kante genäht“, kritisiert auch Detlef Neuß, der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn. Das deutsche Schienennetz gilt nahezu unbestritten als marode. Die Konsequenz, laut Neuß: „große Störanfälligkeit“.
Plötzlichen Schneemassen ist auch ein perfekt saniertes Schienensystem nicht zu hundert Prozent gewappnet. Wenn Bäume zusammenbrechen, können sie auch beheizte Weichen blockieren. Wenn Fachkräfte beschädigte Leitungen reparieren sollen, kann es sein, dass Schnee und Glatteis auch ihnen den Weg zur Arbeit erschweren. Und trotzdem sind Länder wie Österreich und die Schweiz schneller aus der Schneeschockstarre aufgetaut. Ihre Bahnen speisen sich nicht aus Haushaltsgeldern, die jährlich neu verhandelt werden. Ihnen stehen Mittel aus extra Töpfen zur Verfügung, die langfristige Planungen und Investitionen in Personal und Infrastruktur über mehrere Jahre hinweg ermöglichen. So stehen in der Schweiz im Falle extremer Wintereinbrüche spezielle Teams bereits, einzig und allein betraut mit der Aufgabe, die Schienen so schnell wie möglich wieder befahrbar zu machen.
Das Argument, dass starke Schneefälle und extreme Kälte in Deutschland in Zeiten von Klimakrise und Erderhitzung nicht zu erwarten waren, zählt auch nicht ganz. Die Klimakrise macht Wetterextreme wahrscheinlicher, mahnt Detlef Neuß zu recht an – Schneefall hängt sogar direkt mit der Veränderung des Weltklimas zusammen. Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die im Winter als extremer Schnee runterkommen kann. Grundsätzlich schneit es den Aufzeichnungen zufolge seltener – aber wenn, dann richtig. Außerdem wären etwa Investitionen in Zäune, die im Winter Schnee vor Schienen abfangen, ein guter Schutz gegen Schlamm und Geröll in anderen Wetterlagen.
Die deutsche Bundesregierung ist sich der Schwächen der Deutschen Bahn schon lange bewusst. Nicht nur im Winter mangelt es an Personal, die Pünktlichkeitsquoten sanken zuletzt auf einen Tiefpunkt. Der Bund plant deshalb eine tiefgreifende Bahnreform und wollte bis 2027 40 Milliarden Euro in den Staatskonzern, vor allem in die Sanierung des Gleisnetzes stecken. Angesichts des Haushaltsstreits in der Bundesregierung wackelt diese Summe. Sicher sind Einnahmen aus der Lkw-Maut, die der Bundestag vor Kurzem erhöht hat und die direkt in die Bahn fließen sollen. Wie nötig das ist, hat die Ausnahmesituation in Bayern gezeigt. Der Bahn geht es ohnehin schlecht, Wetterextreme infolge des Klimawandels sorgen für noch mehr Chaos. Mehr Geld für die Schiene kann das nicht ganz verhindern. Helfen aber würde es auf jeden Fall.
Während in Bayern weiter vor Schnee und Glätte gewarnt wird, suchen einige Menschen das Glück im Unglück: Immerhin, der Streik der Lokführergewerkschaft GDL am Donnerstag und Freitag habe sie nicht so hart getroffen. Es sei ja schon vorher nix gefahren.
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