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Schmuggler und IS: Die Irrwege der Migranten

Die Flüchtlinge auf der „Aquarius“ starteten ihre Reise im Schmuggelhafen Garabulli. Die Milizen in diesem Teil Libyens werden der Lage nicht Herr

Aus Misrata Mirco Keilberth

Jamal Alkali schlägt müde mit der Faust auf sein Mobiltelefon. Vor vier Stunden erst hat der 51-jährige Milizenchef an seinem Kontrollpunkt 40 Kilometer südlich der libyschen Küstenstadt Misrata die Weckfunktion gestellt. Jetzt sorgt ein neuer Funkspruch für Unruhe. Mühsam quälen sich seine 14 Männer in ihre Uniformen, auf denen „Präsidialgarde“ steht. „Es geht wieder Richtung Beni Walid“, sagt Jamal.

Ein Informant will beobachtet haben, dass in Hun, 120 Kilometer weiter südlich, Kämpfer des „Islamischen Staats“ (IS) einen Toyota-Pick-up mit Sprengstoff für einen Selbstmordanschlag beladen haben – auf der Hauptroute der Migranten aus Tschad, Sudan und Niger an Libyens Mittelmeerküste.

Misrata ist Hochburg kriegserfahrener Milizen aus dem Krieg gegen Gaddafi. Viele ihrer Anführer unterstehen nun der Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis. Doch Lohn für ihre lebensgefährlichen Patrouillen in der Sahara haben viele seit mehr als sechs Monaten nicht erhalten. Während sie ihre Fahrzeuge beladen, fluchen sie auf Premierminister Serraj. „Wir brauchen endlich eine Regierung, die wieder für Ordnung sorgt“, sagt Familienvater Jamal.

Vor zwei Wochen näherte sich ein 17-jähriger Ägypter mit einem auffällig tiefliegenden Nissan einem anderen Kontrollpunkt von Jamals Miliz. Nur weil der Zünder versagte und der Attentäter beim Weglaufen seine Sprengstoffweste nicht zündete, überlebten die 20 Männer.

Die Ausbreitung des IS geschieht auf einer der wichtigsten Handelsrouten durch die Sahara. Kokain sowie das Beruhigungsmittel Tramadol gehen nach Ägypten, Migranten ziehen nach Norden, Waffen und Waren fließen nach Süden.

Den logistisch aufwendigen Menschenhandel teilen sich afrikanische Mafiabosse mit lokalen Milizen. So wie in Camp 51 südlich von Beni Walid. In den unter Migranten als „Ghetto“ bekannten, mit Stacheldraht bewehrten Lagerhallen warten Arbeitssuchende aus West- oder Zentralafrika auf freie Plätze in den Booten nach Italien.

Rund um Camp 51 hat ein Äthiopier namens Abubakr ein Terrorregime für die meist aus Eritrea und Äthiopien stammenden Migranten errichtet. Am 25. Mai kletterten 27 von ihnen über den Lagerzaun, um den Schlägen und der Zwangsarbeit zu entgehen. Die libyschen Bewacher eröffneten sofort das Feuer, 14 Verletzte und 2 Tote wurden vom Roten Halbmond in die Krankenhäuser gebracht.

Auch Jamals Miliz findet auf ihren Patrouillen oft verletzte Migranten. Sie wurden nach Unfällen zurückgelassen oder konnten fliehen.

Garabuli heißt das aktuelle Hauptziel der Migranten. Kämpfe in anderen Gebieten haben den 25 Kilometer langen Küstenabschnitt östlich von Tripolis, berüchtigt für Benzinschmuggel, zum tödlichsten Ort am Mittelmeer gemacht. Am vergangenen Wochenende rettete die Marine aus Misrata über 200 Schiffbrüchige vor Garabuli, im kleinen Hafen von Garabuli nahm auch das Flüchtlingsschiff die Fahrt auf, deren Insassen jetzt auf dem Mittelmeer für ein diplomatisches Drama sorgen.

Eigentlich wollen die Vereinten Nationen Libyens Schmugglerkönigen das Handwerk legen. Am vergangenen Freitag verhängte der UN-Sicherheitsrat Kontosperren und Reiseverbote gegen vier Libyer und zwei Eritreer, die Tausende Migranten auf das Meer geschickt haben.

Jamal zuckt mit den Schultern, als er im Radio von den Sanktionen hört. Alle wüssten, sagt er, dass Italien mit einigen der sanktionierten Kommandeure zusammenarbeite. Und solange der Benzinschmuggel floriert, aus dem sich die Logistik der Menschenhändler finanziert, sind die Sanktionen egal.

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