Schleichwerbung von YouTube-Stars: Keine Chance für Dodgy-fake-boys
Muckibuden-Guru Karl Ess promotete bis vor kurzem Penispumpen auf seinem YouTube-Channel. Seinen Fans gefällt das gar nicht.
Karl Ess, könnte man sagen, ist ein deutsches Leitmedium. Ein beeindruckend durchtrainiertes Leitmedium sogar, hünenhaft und glatzköpfig.
Karl Ess hat über 350.000 Abonnenten auf seinem YouToube-Kanal, auf dem er seit drei Jahren Fitnessvideos hochlädt. Über 800.000 Menschen folgen ihm bei Facebook und noch mal über 140.000 bei Instagram. Auch wenn sich davon vermutlich viele überschneiden, ergibt das in der Summe eine Reichweite von ungefähr 1,3 Millionen Menschen. Ebenso viele wie die Süddeutsche Zeitung.
Längst ist die Werbeindustrie auf populäre YouTuber wie Karl Ess aufmerksam geworden. Weil sie jugendliche Zuschauer haben und weil der Kontakt zwischen YouTube-Star und Fan intimer und unmittelbarer ist als zwischen TV-Ansager und Publikum. Was für viele Erwachsene noch immer wie amateurhaftes Geschnatter über Beauty und Computerspiele oder wie tumbe Comedy wirkt, ist längst ein riesiger Markt geworden.
240 Millionen Euro wurden 2014 mit Werbung im direkten Umfeld von Videostreaming auf Plattformen wie YouTube oder Vimeo umgesetzt, so der Sprecher des Digitalverbandes Bitkom, Michael Poguntke. „Und das umfasst sogar nur von den Plattformen offiziell geschaltete Werbung.“ Lassen YouTuber einen Werbefilm vor ihren Videos laufen, verdienen sie etwa einen Euro pro 1.000 Klicks. Im Fall von Karl Ess sind das bei bis heute insgesamt 93 Millionen Klicks etwas mehr als 93.000 Euro.
Geld, Autos – und große Penisse
Aber das ist nur eine Einnahmequelle für YouTuber. Höher noch dürfte für Ess der Umsatz liegen, den er mit Werbung direkt in seinen Videos macht. Wie viel Ess verdient, sagt er zwar nicht – aber er zeigt es gerne. Vor einiger Zeit kaufte er sich einen Ferrari F12, Grundpreis: 270.000 Euro. Das Auto zeigte er fortan gerne und viel in seinen Videos. Aus einem reinen Fitnesskanal wurde ein Kanal für Geld, Autos – und große Penisse. Den „Fitness-Lifestyle“, wie Karl Ess das nennt.
Für die entsprechenden Produkte, um all das zu erreichen, macht Ess seitdem Werbung: Casinos, Penispumpen, Lottoseiten, unter anderem. Bei einer Zielgruppe, die nach eigener Aussage zur Hälfte minderjährig ist. Und auf eine Art und Weise, die Anwälte illegal nennen. „Werbung bei YouTube ist Werbung wie überall sonst auch und müsste als solche auch erkennbar sein“, sagt Christian Solmecke, Anwalt für Medienrecht. Solmeckes Einschätzung nach ist das bei YouTube in vielen Fällen nicht der Fall. Tatsächlich sei die Videoplattform voll mit Schleichwerbung, sagt er. Und ein besonders auffälliger Fall ist da Karl Ess.
Ein zwar inzwischen gelöschtes, aber beispielhaftes Video zeigt ihn etwa mit zwei Freunden auf einem Spielplatz, wo die drei darüber reden, ob Ess irgendetwas peinlich sei. Antwort: „Vor zweieinhalb Jahren circa bin ich in die Sauna rein und schau meinen Kollegen an und denk mir so: Ey, das kann doch nicht sein, was hat denn der für ein Riesenrohr?“ Danach erzählt er, dass der Vater eines Freundes eine Pumpe entwickelt habe, mit der sich die Penislänge vergrößern lasse.
In weiteren ebenfalls inzwischen gelöschten Videos erzählte Ess noch von Freundinnen, die sich über zu kleine Penisse beschwert hätten. Der Link, über den man das Gerät kaufen kann, findet sich unter fast allen Videos von Karl Ess. „Das ist Schleichwerbung, wenn Karl Ess von dem Unternehmen beauftragt wurde oder sonst irgendwelche Vorteile bezieht“, sagt Anwalt Solmecke.
Ein gutes Geschäft
„Für mich war es auch eine lukrative Sache“, sagt Karl Ess selbst in einem Interview mit der Bodybuilder-Plattform Team-Andro.com. Wie viel Provision er für die Werbung bekommt, dazu wollen sich weder Karl Ess noch das Unternehmen äußern. Über ein Online-Tool kann man jedoch sehen, dass der Link für die Penispumpe beinahe 363.000 Mal angeklickt wurde.
Auf der Seite des Herstellers – laut Impressum ein Unternehmen namens „Swiss-Tec Ltd.“ mit Sitz auf Malta – kann man nachlesen, dass Vertriebspartner, die pro Tag ein Gerät verkauften, im Monat auf eine Provision von 3.000 Euro kommen – was grob 100 Euro Provision pro Gerät entspricht. Im Fall von Karl Ess entspräche das bei einer Erfolgsquote von einem Prozent einen Werbeumsatz von 360.000 Euro. Das wäre kein schlechtes Geschäft.
Schleichwerbung bei YouTube ist kein neues Phänomen. Die Macherin von „Daaruum“, einem der größten deutschen YouTube-Kanäle, sah sich im Frühjahr von Seiten der Landesmedienanstalten dem Vorwurf der Schleichwerbung ausgesetzt, weil sie ein Kosmetikprodukt in ihren Videos platziert haben soll. Seitdem findet sich unter ihren Videos eine Auflistung, an welchen Links und Produkten die YouTuberin verdient.
Karl Ess bewirbt unter seinen Videos viele Produkte: Nahrungsergänzungsmittel, Sportbekleidung, Energy-Drinks, unter anderem. Eine Kennzeichnung, dass es sich um Werbung handelt, findet man an keiner Stelle.
Bußgelder bis 50.000 Euro drohen
„Mitbewerber könnten gegen ihn oder die Unternehmen, die ihn beauftragt haben, einen Unterlassungsanspruch geltend machen“, erklärt Anwalt Solmecke. Außerdem drohten Bußgelder bis zu einer Höhe von 50.000 Euro. „Nimmt man an, dass YouTube-Videos fernsehähnlich sind, gelten sogar die strengen Regeln des Rundfunkstaatsvertrags“, so der Jurist. Dann müsse über die gesamte Länge „Dauerwerbesendung“ eingeblendet sein. Ob YouTube „fernsehähnlich“ ist, wurde allerdings bisher rechtlich nicht abschließend geregelt. „Karl Ess müsste also im Moment lediglich etwa am Anfang und am Ende des Videos eine Kennzeichnung einblenden, etwa ein ‚P‘ für ‚Produktplatzierung‘“, sagt Solmecke.
Bisher hat es noch keine Klage gegen YouTuber gegeben. Trotzdem soll noch in diesem Jahr eine „Bund-Länder-Kommission für Medienkonvergenz“ neue Regeln auch für Werbung bei YouTube erarbeiten und im Telemediengesetz festschreiben.
Karl Ess indes hat sich offenbar verspekuliert. „Das größte Kapital von YouTubern ist ihre Glaubwürdigkeit“, sagt die Medienwissenschaftlerin Claudia Fantapié. „Und die Zuschauer sind nicht dumm. Wenn der Zuschauer merkt, dass es nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch um Werbung, geht er zu einem anderen YouTube-Kanal.“ Das ist, so scheint es, bei Karl Ess derzeit der Fall. Ihn hat ein klassischer Shitstorm erwischt. Ess sah sich inzwischen gezwungen, die Bewertungsfunktion für Videos auszuschalten – „die Objektivität“ sei nicht mehr gegeben, schreibt er. Die Klickzahlen für seine Videos sind dramatisch eingebrochen: In einem Monat von knapp vier Millionen auf unter 400.000 Klicks.
„Es ist ein Phänomen: Karl glaubt wirklich, dass er seinen Zuschauern etwas Gutes tut“, sagt ein ehemaliger Geschäftspartner, der sich inzwischen in einem Rechtsstreit mit Ess befindet. „Wenn es nach ihm ginge, müsste es längst Goldstatuen geben von ihm, so viel Gutes tut er den Leuten.“ Ess habe die Penispumpe zum Beispiel tatsächlich über einen längeren Zeitraum selbst benutzt und sei überzeugt von der Wirksamkeit.
Realness über alles
Karl Ess selbst wollte mit der taz nicht sprechen. Aus seinem nahen beruflichen Umfeld verlautete lediglich, dass der Kanal so schnell gewachsen sei, dass Ess seine Reichweite und Verantwortung schlicht unterschätzt habe.
Im Interview mit Team-Andro.com sagt Ess, dass man YouTuber in zwei Gruppen teilen müsse: die Echten – „und die Dodgy-fake-boys, die irgendwelche Deals am Start haben. Und die werden als Nächstes fallen. Und dann wird die Realness nachrücken.“ Er zählt sich selbst offenbar zu den „echten“ YouTubern. Die Klickzahlen lassen vermuten, dass seine Zuschauer das anders sehen.
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