Schleichwerbung mit Internet-Videos: Heute schon ein Virus verbreitet?
Virales Marketing macht Internetnutzer zu Werbeträgern wider Willen. Die Medienkrise lässt das Geschäft mit der Schleichwerbung florieren.
Die Sache geht in etwa so: Da springt ein tollkühn anmutender Stuntman über einen Baumarkt. Scheitert dabei an dessen wuchtigen Abmessungen. Und wird so binnen Kürze zur Kultfigur - erst im Internet, dann auch im Fernsehen. Die Rede ist von Ron Hammer, einem Kunstprodukt der Berliner Werbeagentur Heimat. Der Ron-Hammer-Videoclip war Fake, die dazugehörige Kampagne für den Baumarktriesen Hornbach ging im Herbst 2006 durch die Decke und setzt bis heute Maßstäbe.
Für den gekauften Ruhm sorgte Dialog Solutions. Agenturen wie sie bemüht man immer dann, wenn es gilt, Werbebotschaften so im Netz zu platzieren, dass sie von den Nutzern bereitwillig an ihre Freunde weiterempfohlen werden - einfach, weil sie besonders originell oder lustig verpackt sind. Wie ein Virus sollen sich die Videoclips von Wirt zu Wirt verbreiten, entsprechend nennt man diese Werbeform virales Marketing.
Dabei bleibt nichts dem Zufall überlassen, alles folgt einer eigenen Dramaturgie. Für den Erfolg sorgen vor allem bienenfleißige Helferlein, die "Mavens", zu denen "viele Betreiber von Webseiten, Foren, Blogs und Communitys" gehören, wie man sich etwa auf den Seiten von Dialog Solutions rühmt. Und recht ungeniert spricht man darüber, dass dabei Geld fließt.
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Der inszenierte Hype springt so im besten Fall auf ein Massenpublikum über, macht den Clip zum Gesprächsthema - und den Internetnutzer so zum Werbeträger, auch wenn er das mitunter gar nicht mitkriegt. Spots wie "Ron Hammer" sind auf den ersten Blick nicht als Werbung auszumachen, das ist ein Grund für ihre Popularität.
Ein weiterer sind PR-Agenturen wie Crossmedia in Düsseldorf, die für "redaktionell initiierte Auftritte" sorgt. Vor allem im Deutschen Sportfernsehen buchte man ganze Sendungen, in denen vom "unglaublichen Rekordversuch im Motocross-Weitsprung" die Rede war. Freilich fehlte dabei jeglicher Hinweis auf den werblichen Hintergrund.
Die Wirtschaftskrise schlägt mittlerweile voll auf die Medienbranche durch und lässt das Geschäft mit der Schleichwerbung florieren. "Wir erleben dort gegenwärtig einen gewaltigen Transformationsprozess hin zu den Neuen Medien, der sich durch die große Krise nur umso rasanter vollzieht", erklärt Hansjörg Zimmermann, Marketingexperte und Professor an der Macromedia-Hochschule in Stuttgart.
Das Versprechen, das Unternehmen wie T-Mobile, Henkel oder Otto die Scheu vor viralem Marketing verlieren lässt, ist ein recht einfaches: viel Aufmerksamkeit für relativ wenig Geld. Denn durch die automatische Verbreitung entfallen die Kosten für Anzeigenschaltungen, die normalerweise einen bedeutenden Anteil am Marketingbudget ausmachen.
GoViral, eine mittlerweile in vielen Ländern operierende Agentur, versteht es derzeit wie kaum eine zweite, soziale, vormals wilde Netzspielplätze wie YouTube als Katalysatoren zu benutzen, um Markenhypes zu erzeugen. YouTube-Ruhm ist käuflich und "pro Abspielvorgang schon für 15 Cent zu haben", rechnet denn auch Frank Scheuerer von GoViral kühl vor. Die Agentur debütierte mit einer Online-Kampagne für den Surfartikler Quiksilver. Der Spot "Surfing with Dynamite" wurde zum Blockbuster. Und virales Marketing inzwischen zur Industrie.
"Wir sind einfach dreimal so günstig wie klassische Bannerwerber", nennt Scheuerer einen der Gründe. Und freilich weckt das Begehrlichkeiten: Laut einer Umfrage der Feedcompany - der führenden Agentur für virales Marketing in den USA - setzen 70 Prozent aller Unternehmen künftig verstärkt auf virale Werbebotschaften. Im Dauerwerberauschen auf allen Kanälen sollen Kampagnen nun bitte alles sein - außer offensichtlich.
"Um einen Spot um die Welt zu schicken, muss man Emotionen schüren", sagt Martin Dräger von Dialog Solutions, der Till Pöhlmann hochjazzte, einen als Heimwerker getarnten Profijongleur - diesmal für den Hornbach-Konkurrenten Obi. Über 10 Millionen Zuschauer hatte der Clip und schaffte es am Ende gar ins althergebrachte Fernsehen: ProSieben zimmerte gleich ganze Heimwerkersendungen in Obi-Ästhetik rund um den inszenierten Aufreger.
Die "Galileo"-Werbesendungen waren getarnt als redaktioneller Beitrag. Vom Grundsatz, Redaktionelles von Beworbenem zu trennen, bleibt hier nichts übrig. Gleich ob Daimler oder Sony - alle ließen sie ihre virale Saat bei "Galileo" aufgehen. Beim Sender schuf man eigens eine Rubrik, in der virale Clips vermeintlich auf ihren Wirklichkeitsgehalt hin überprüft werden. Vom Werbeaspekt ist hier keine Rede.
Grundsätzliches sieht denn auch der Rechtswissenschaftler Stephan Dreyer vom Hans-Bredow-Institut in Gefahr, sollte diese Praxis Schule machen: "In dem Moment, in dem nicht mehr Redaktionen nach journalistisch-professionellen Kriterien die Themen und die Form der Berichterstattung auswählen, sondern das Programm vom Meistzahlenden bestimmt wird, ist es vorbei mit unserer Mediendemokratie."
Zwar sind virale Clips, die ihren Werbeaspekt verschleiern, mittlerweile auch in Deutschland illegal. Die Branche lässt sich davon freilich nicht schrecken. "Der potenzielle Erfolg dieser Werbemöglichkeit ist einfach zu gut", sagt Carsten Ulbricht, Rechtsanwalt und Web-2.0-Experte, "da nehmen die Firmen das Abmahnrisiko bewusst in Kauf."
Zu befürchten haben sie wenig. Deutsche Gerichte und Landesmedienanstalten fielen bisher eher durch dezente Urteile auf, wenn es um unlautere Werbung ging. "Es wurde und wird immer kräftig geheuchelt, wenn es um das System Schleichwerbung geht", meinte denn auch Martin Buchhorn in einem offenherzigen Zeitungsinterview 2008. Als Exfernsehspielchef des Saarländischen Rundfunks und Erfinder des früheren "Tatort"-Ermittlers Palu war Buchhorn lange Zeit Teil dieses Systems.
Indes kommen der Werbebranche selbst Zweifel, ob Schleichwerbung dem Geschäft zuträglich ist. Mit Werbung, die auf Lug und Trug gründet, riskierten Unternehmen sowieso nur ihre Glaubwürdigkeit, meint etwa Martin Oetting. Der Werber der Agentur trnd feilt schon an einer Form der Mundpropaganda im Web 2.0. Kunden sollen zu freiwilligen Produkttestern der Konzerne werden. Als Gegenleistung gibts Pröbchen. Die Industrie hofft, dass sich so die Begeisterung für das Produkt in die Welt hinausträgt. Zum Wohle aller, wie Martin Oetting meint.
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