Schlecker-Prinzip: Arbeit gibt es nur bei Wohlverhalten
Die "Kieler Nachrichten" haben ihre Druckerei-Belegschaft längst in eine Leiharbeitsfirma ausgelagert. Nun wurde ihnen allen auch dort gekündigt - gerade als sie begannen, einen Betriebsrat zu gründen.
Ob die Schichten eines Produktionshelfers in der nächsten Woche ausreichen, um über die Runden zu kommen, entscheidet sich in der Druckerei der Kieler Nachrichten (KN) immer montags, ab 14 Uhr. Dann ist jemand erreichbar unter der Telefonnummer, über die die Arbeitstermine vergeben werden. Und rund 300 Beschäftigte der Druckerei rufen an, immer wieder, den ganzen Nachmittag.
Wer zuerst jemanden an den Hörer bekommt, hat gute Chancen auf einen angenehmen Schichtplan. Vorausgesetzt, er hat "sich gut benommen", sagt Marcus Peyn. Denn wer sich im Betrieb für Arbeitnehmerrechte engagierte, habe in den vergangenen Jahren keine Schichten mehr bekommen. Peyn, 27, ist seit vier Jahren über die Zeitarbeitsfirma TB Personaldienste GmbH in der Druckerei beschäftigt. Als er am 4. Februar zum Chef des neuen Betriebsrates gewählt wurde, hatte er bereits die Kündigung - wie alle anderen rund 380 TB-Beschäftigten.
Gescheiterte Verhandlungen mit den Kieler Nachrichten seien der Grund für die Massenentlassung gewesen, sagte das Unternehmen dem Internetportal Meedia. Als die Zeitung nicht eingelenkt habe, "mussten wir leider die geschlossenen Arbeitsverträge auch zum 30. 6. 2010 kündigen", hieß es. Die Kieler Nachrichten machten in ihrem eigenen Bericht über die Kündigungen "eine Preiserhöhung der TB im zweistelligen Prozentbereich" für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich.
Historisch: Die erste Ausgabe der Kieler Nachrichten (KN) erschien am 3. April 1946, zunächst als CDU-Lizenzzeitung.
Lokal: Die KN ist die einzige lokale Tageszeitung der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, ihre verkaufte Auflage betrug im vierten Quartal 2009 knapp 105.000 Exemplare.
Regional: Die KN produziert vier Regionalausgaben: Neben Kiel lokal auch die Eckernförder Nachrichten sowie die Holsteiner und die Ostholsteiner Zeitung.
Ökonomisch: 37 Prozent der KN-Anteile hält der Madsack-Verlag aus Hannover, an dem wiederum die SPD über ihre Medienholding dd_vg mit 20,4 Prozent beteiligt ist.
TB-Arbeitnehmer verdienen in der Druckerei 6,14 Euro in der Stunde. Sie bekommen keine Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall oder im Urlaub und einen Nachtzuschlag von 25 statt der üblichen 50 Prozent. Ursprünglich war das Unternehmen Teil der Kieler Nachrichten selbst und hieß TB Verlagsdienstleistungen. Jetzt gehört TB Personaldienste, das 2006 seinen neuen Namen bekam, der Tabel-Gruppe mit Sitz in Laatzen bei Hannover. Die letzten Anteile verkauften die Kieler Nachrichten nach Angaben der Gewerkschaft Ver.di allerdings erst Ende vorigen Jahres - da soll die Gründung eines Betriebsrats bereits im Gespräch gewesen sein.
Hinter diesem Schritt könnte die Angst vor einem Gesamtbetriebsrat gewesen sein: Bei Erfolg der Druckerei-Mitarbeiter hätten sie sich in den Betriebsrat der Kieler Nachrichten integrieren können - und dann hätte die gesamte KN-Belegschaft für die Wiedereinführung der früheren Drucker-Löhne von 12,50 Euro kämpfen können.
Die Strategie, mit der TB deshalb gegen engagierte Beschäftigte vorgegangen sei, beschreiben Mitarbeiter als "Aushungern". Den häufig ungelernten Niedriglöhnern sei nicht gekündigt worden, sie hätten aber auch keine Schichten mehr bekommen. Ihrerseits selbst kündigen können die Drucker aber auch nicht: Das zöge eine dreimonatige Sperre des Arbeitslosengeldes nach sich. Deshalb seien viele Produktionshelfer in der Warteschleife geblieben. Bei Wohlverhalten habe das Unternehmen langsam wieder Termine an die "Querulanten" verteilt.
Dass sich nach der Massenentlassung überhaupt noch ein Betriebsrat gegründet hat, liege an der politischen Unterstützung durch die Linke, sagt Ver.di-Sekretär Heino Stüve. Vorsitzender Peyn, selbst Linke-Mitglied, und seine Kollegen werden von der Kieler Bundestagsabgeordneten Cornelia Möhring beraten. Ende April werden Peyn und seine Kollegen vor Gericht für ihre Wiedereinstellung kämpfen.
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