: Schlange stehen für Schreibmaschinen
Die nicaraguanische Tageszeitung 'Nuevo Diario‘ sucht in der BRD finanzielle Unterstützung / Kaputte und veraltete Technik bestimmt die Arbeitsbedingungen in Nicaraguas größter und zugleich ärmster Tageszeitung / Das pluralistische linke Blatt entstand im Mai 1980, zehn Monate, nach dem Sieg der Sandinisten ■ Von Ute Scheub
Kann eine Zeitungsredaktion ein Marktplatz sein? Für Aura Lila Moreno ja. Sie arbeitet als Politik- und Wirtschaftsredakteurin in der nicaraguanischen „Neuen Tageszeitung“, 'Nuevo Diario‘. „Ganze Delegationen von Companeros kommen und tragen ihr Anliegen vor: Ein Kind wird vermißt, eine Frau hat Schwierigkeiten mit einer Behörde, ein Mann hat seinen Ausweis im Bus verloren.“
Auf der Suche nach Finanzquellen für ihre Zeitung und auf Kosten der „Deutschen Journalistenunion“ (dju) und des „Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit“ reiste Aura Lila im März durch die BRD. Die kleine Lokalredaktion der taz in Hamburg kommt ihr geradezu königlich vor: so große Räume, so viel funktionierende Technik. „Bei uns ist alles viel enger. Und dann der Krach. Wenn ein Anruf kommt, ruft die Sekretärin quer durch den ganzen Raum. Wir haben gerade mal drei Telefonleitungen für alle. Oft müssen wir richtiggehend Schlange stehen vor den Telefonen“, berichtet Aura Lila Moreno. „Unsere Technik ist uralt und größtenteils kaputt. Die Telexgeräte funktionieren einen Tag und den nächsten nicht mehr. Andauernd müssen wir Techniker bestellen, die dann doch nicht die richtigen Ersatzteile haben. Ganz schlimm ist es mit den Schreibmaschinen. Es gibt nur noch wenige, die nicht kaputt sind, und deshalb sind sie natürlich dauernd besetzt. Auch vor den Schreibmaschinen stehen wir Schlange und müssen manchmal stundenlang warten, bis wir einen Artikel schreiben können.“ Von den zwei verbliebenen Autos oder den Druckmaschinen will sie erst gar nicht anfangen. Ich kann sie ergänzen: Bei meinem Besuch beim 'Nuevo Diario‘ in Managua wollte ich meinen Augen nicht trauen, als ich sah, auf welchen vorsintflutlichen Apparaturen diese größte Tageszeitung Nicaraguas mit einer Auflage zwischen 60.000 und 100.000 Exemplaren gedruckt wird.
'Nuevo Diario‘ ist die größte der drei Tageszeitungen des Landes, aber auch die ärmste. Die sandinistische Parteizeitung 'Barricada‘ erhält nicht nur staatliche, sondern auch internationale Unterstützung, unter anderem von der 'Prawda‘. Und daß 'La Prensa‘, das Kampfblatt der rechten Opposition, mit US-Dollars vollgeschüttet wird, versteht sich fast von selbst. 'Nuevo Diario‘ - Untertitel: „Ein neuer Journalismus für einen neuen Menschen“ - ist kein Blatt der sandinistischen Partei, doch den Errungenschaften der sandinistischen Revolution verpflichtet. Auf der Titelseite werden nicht nur politische Themen, sondern auch Boulevardgeschichtchen präsentiert; auf der Seite zwei, der „Meinungsseite“, breiten neben den zeitungseigenen Kommentatoren Feministinnen, Ökologen, Geistliche oder Gewerkschafter ihre Ansichten aus. „Unsere Zeitung ist eine Tribüne für alle politischen Gruppen“, sagte mir Francisco Hernandez, der 73jährige Chefkommentator und Mitbegründer des 'Nuevo Diario‘ in Managua. Er war einer derjenigen Zeitungsmacher, die im Mai 1980, zehn Monate nach dem Sieg der Sandinisten, aus Protest gegen den immer stärkeren Rechtskurs die 'Prensa‘ verließen. 80 Prozent der 'Prensa' -Belegschaft gingen damals und nutzten ihre Abfindungen, um eine eigene Zeitung zu gründen. Von den heutigen 250 MitarbeiterInnen des 'Diario‘, davon 20 Journalisten und Regionalkorrespondenten, sind die meisten als Gesellschafter auch Mitbesitzer der Zeitung.
'Nuevo Diario‘ sei eigentlich wirtschaftlich gesund, sagt Aura Lila, die Wirtschaftsredakteurin, da es sich durch Straßenverkauf, Anzeigen und Fremdaufträge in der Druckerei finanzieren könne. Was die Situation so dramatisch mache, sei der Devisenmangel in Nicaragua. Papier, Druckerfarbe, Ersatzteile, all das muß in teuren Devisen bezahlt werden. Chefredakteur Xavier Chamorro, der ebenfalls von der 'Prensa‘ überwechselte, hat Aura Lila deshalb ein Papier mitgegeben, auf dem die dringlichsten Wünsche der Redaktion aufgelistet sind. Zum Beispiel sieben Telefax-Geräte für die Regionalkorrespondenten, vier Telex-Geräte für die Nachrichtenagenturen, eine Telefonanlage mit zehn Hauptleitungen und 50 Nebenstellen, 17 Schreibmaschinen, Büromaterial und Aufnahmegeräte und vier Fotoapparate, Fotopapier und Entwicklungsdosen für 35 mm-Filme.
Damit sich nicht alle LeserInnen angesprochen fühlen, ihre defekten Schreibmaschinen nach Managua zu schicken, koordiniert das „Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit“ in der Pariserstraße 7, 8000 München 80, Telefon 089/4485945 die Spendenaktion und bittet unter dem Stichwort „Nuevo Diario“ vor allem um Geldspenden auf das Konto mit der Nummer 56-176258 bei der Stadtsparkasse München, BLZ 70150000
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