Schlagzeuger Art Blakey: Hard Bop für die Ewigkeit
„If the band is better than the drummer, it’s not a jazz band.“ Der große Schlagzeuger Art Blakey wäre am Freitag 100 geworden.
Art Blakeys 70. Geburtstag stand bevor, und die Leverkusener Jazztage organisierten aus diesem Anlass einen All-Star-Gig, um den großen Schlagzeuger zu feiern. Man lud ein Dutzend Musiker ein, die einst The Jazz Messengers gewesen waren – Mitglieder jener Band, als deren Chef Blakey für 35 Jahre amtete. Als Letzter erschien der Jubilar selbst zu den Proben, denen selbstverständlich auch seine aktuelle Band beiwohnte.
The Jazz Messengers Ende der Achtziger: sechs aufstrebende Jazztalente, nur einer älter als 30. Blakey, schlohweißes Haar, noch weißeres Hemd, kam zur Lunchzeit in den Konzertsaal, besah sich die ergraute Garde um Shorter und Hubbard und bemerkte, er werde nur mit seiner Band spielen, auf keinen Fall mit diesen alten Knackern: „They’re yesterday.“
Etliche Legenden wie diese, kolportiert vom Festivalorganistaor Mike Hennessey, ranken sich um Art Blakey, doch dass der Drummer, der am 11. Oktober dieses Jahres seinen 100. Geburtstag feiern würde, je inkonsequent gewesen wäre, wird kaum jemand behaupten wollen. Blakey wechselte die Besetzung seiner Jazz Messengers umso häufiger, je älter er wurde. „I’m gonna stay with the youngsters“, kündigte er schon 1954 an. „Und wenn mir die zu alt werden, hole ich mir eben Jüngere. Das hält den Geist frisch.“
Seine Drumbreaks leben weiter
Blakey hat kaum bedeutsame Kompositionen hinterlassen. Dafür fulminante Drumbreaks, denen Künstler wie Black Eyed Peas, A Tribe Called Quest und KRS-One in Sampleform neue Anerkennung verschafften.
Blakey findet selbst im notorisch unmusikalischen Deutschrap Anerkennung. So ließen die Kölner Rapper Retrogott & Hulk Hodn ihrem Jazzvorbild 2018 in dem Track „Arbeitanderbasis“ per Reim Zuneigung zuteilwerden: „Art Blakey schickt mir laufend Jazzmessages.“
Das größte Verdienst des US-Schlagzeugers war es jedoch, sich die besten jungen Musiker seines Landes jeweils in die Band zu holen und ihnen Raum zur Entfaltung zu geben. Die Jazz Messengers waren nichts anderes als eine Ausbildungsstätte, eine Art Brutkasten für Talente. Auch die Trompeter Donald Byrd, Lee Morgan und Wynton Marsalis sowie der Pianist Keith Jarrett schwitzten als junge Unbekannte in diesem Stall. „Als wir die Messengers formierten, haben alle darauf bestanden, dass ich der Leader sein sollte“, erinnerte sich Blakey im Jahr 1977. „Ich wollte das nie sein – keine Lust auf die Kopfschmerzen. Aber ich schätze, ich war einfach der Erfahrenste.“
Zur Welt kam Art Blakey 1919 in Pittsburgh, Pennsylvania. Die Fabrikschlote der „Steel City“ qualmten 24 Stunden nonstop, die Luft über dem Ohio River bot kaum einmal klare Sicht. Er wuchs in einer Pflegefamilie bei strengen Adventisten auf, die ihm einen christlichen Glauben aufzwangen, den er später abzuschütteln suchte. Der Schlagzeuger neigte in Interviews zum Fabulieren, doch es scheint erwiesen, dass sein Leben kein leichtes war.
Noch so eine Legende
Blakey erzählte stets, dass er schon mit 13 Jahren in den Kohlebergwerken von Pittsburgh schuftete und kurz darauf heiratete, seine Frau starb früh an einer Hirnblutung. Laut einer Quelle war er in den dreißiger Jahren zunächst ein gefragter Pianist, andere Quellen berichten, Blakey sei an dem Instrument kläglich gescheitert. Seine Karriere am Flügel beendete ein Clubbesitzer, der ihn mit vorgehaltener Pistole zur Schießbude scheuchte. So weit die Legende.
Nachgewiesen ist, dass Blakey erste wichtige Auftritte unter Sänger Billy Eckstine hatte. Nachdem sich dessen Bigband aufgelöst hatte, so erzählte Art Blakey 1973, ging der Schlagzeuger für zwei Jahre nach Westafrika und konvertierte dort zum Islam. Eine Zeit lang nannte er sich Abdullah Ibn Buhaina. In den fünfziger Jahren war „Bu“, wie ihn Freunde fortan riefen, Trommler von Bandleadern wie Miles Davis und Thelonious Monk, ehe er eine eigene Band gründete.
Noch so eine Legende: Im neuen Quintett waren Blakey und Pianist Horace Silver gleichermaßen tonangebend. Vor einem wichtigen Konzert im Club Birdland soll Blakey dem dortigen MC, Pee Wee Marquette (der Ansager beim Hit „Cantaloop“) ein paar Dollarscheine zugesteckt haben, damit der die neue Band als die von Blakey ankündigte. Was folgte, ist Geschichte: „How about a big hand now!“ – die Geburtsstunde der Jazz Messengers.
Blakey wusste, was zählt: „If the band is better than the drummer, it’s not a jazz band.“ Keine Jazzband sei besser als ihr Schlagzeuger. Sein kraftvolles Spiel und seine polyrhythmischen Soli trugen wesentlich zur Entwicklung des Modern Jazz bei. „Als würden Bomben mit der Grazie einer Ballettperformance explodieren“, schwärmte ein Kritiker. Blakeys Markenzeichen: die mächtigen Hi-Hats auf der Zwei und der Vier.
Geradeaus-Jazz
„Anyone that plays anything modern comes from Blakey“, sagte sein Drumkollege Elvin Jones einmal. Dabei war der so Gelobte wertkonservativ: Bis kurz vor seinem Tod am 16. Oktober 1990 bereiste Art Blakey die Welt, um ihr den Hard Bop nahezubringen und nichts anderes. Art Blakeys Jazz Messengers spielten in den 36 Jahren ihres Bestehens weder Funk noch Fusion noch Free Jazz. Als einziges Zugeständnis an den Zeitgeist hatte der Bandleader zwischenzeitlich einen Pianisten in der Band, der zuweilen elektrisch verstärkt zu Werke ging. Doch sonst: Schlagzeug, Flügel, Kontrabass, drei Bläser. Akustischer Hard Bop.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Blakey verkörperte diese scharfe, am Gospel geschulte Spielweise mit jeder zischenden Hi-Hat und seiner donnernden Bassdrum. „Hard Bop – das war wie Bebop mit Muskeln“, schrieb NDR-Jazzredakteur Michael Naura. „Das war der fettarme Geradeaus-Jazz der Schwarzen. Er stank nach Schweiß und Blues aus allen Poren.“
Dabei klang Blakeys Musik nie mühevoll. Wer sich noch einmal das großartige Call-and-Response-Motiv von „Moanin“ (1958), eingeleitet vom Pianisten Bobby Timmons, dem Komponisten des Songs, zu Gemüte führt, wird diese Melodie so schnell nicht vergessen. Porentief im Gospel, zutiefst funky – so wurde „Moanin'“ zum Inbegriff des Blue-Note-Sounds. Mit dem graduellen Auslaufen der Produktion des stilprägenden New Yorker Labels ging auch Art Blakeys beste Zeit zu Ende. Zwischen 1965 und 1972 nahm er kaum Platten auf, auch in den Siebzigern war er wenig produktiv.
In den Achtzigern wechselte Blakey häufig die Besetzung, kurzzeitig war Wynton Marsalis der musikalische Leiter der Messengers, darauf folgten weitere künftige Stars wie Terence Blanchard und Kenny Garrett. Art Blakey tourte, solange es ging: Noch vier Monate vor seinem Krebstod stand er auf der Bühne. Von ihm bleiben die ikonischen Fotos von Francis Wolff, mit vor Euphorie offenem Mund. Und erst die Tonaufnahmen! Hard Bop für die Ewigkeit: verschwitzt, mächtig, und ewig jung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen