■ Schlagloch: Die Liebe in den Zeiten der Globalisierung Von Mathias Greffrath
„Ich habe versucht, eine bessere Balance zwischen meiner Arbeit und meiner Familie zu finden. Ich habe kläglich versagt.“
Robert B. Reich, ehemaliger US-Arbeitsminister, in der „Zeit“ am 15.11.
Frauen lieben Sieger. Doch, doch. Anders wären all diese Paarungen nicht zu erklären: kleine Männer mit Bauch und lebenskluge Blondinen; platte Machtmenschen und warme Künstlerinnen des Alltäglichen; professorale Langweiler und witzige Braunaugen. „Frauen“, sagte mein Freund, der Matriarchatsexperte, „Frauen gehen da hin, wo die Zukunft ist.“ Spätestens, als 1967 die Mädchen von den Korporationsstudenten zu den Antiautoritären gingen, habe er das gelernt. „Frauen lieben Sieger“, seufzt auch die Kollegin, die immer noch einen sucht, „woher sonst meine archaische Lust auf Maske und Stallone? Es ist schlimm, aber wir haben es in den Genen, wahrscheinlich seit die dreieckigen Kerle uns vor Sauriern schützten.“
Nun, ästhetisch hat sich da etwas verschoben. Seit die Saurier tot sind, seit man sich nicht mehr in Trojanischen Kriegen oder Ritterturnieren auszeichnet und – zumindest in der Oberschicht – keine gut geölten Muskeln mehr vorzeigt, sondern allenfalls geistvolle Regieleistungen, seit die Jagd nicht mehr auf Mammuts, sondern auf Marktanteile geht, sehen Sieger eher so aus wie Herr Maucher. Macht macht Herrn Maucher Spaß, sagt er. Er ist klein und etwas rundlich, trägt unauffällige Anzüge, ist freundlich zu Unterlegenen. Er steht dem Weltkonzern Nestlé vor, wo er Sieger in der Produktion von Trockenmilch und Instantmahlzeiten in Singleportionen ist, und das weltweit.
Aber bei allen äußeren Unterschieden: Es führt ein trauriger Faden durch die Geschichte der Männermacht, vom Trojanischen Krieg zum Kampf um den Weltmarkt der Fertiggerichte. Neulich fragte die Dichterin Monika Maron in der FR den Nestlé-Chef nach Liebe und Leidenschaften. Familie mache ihn glücklich, sagte Helmut Maucher da, und wenn die Mannschaft hinter ihm stehe. Aber irgendwie funktionieren ihm Glück und Gesellschaft nach denselben Prinzipien – denen von Macht und Ökonomie. Auch in der Wahl seiner Frau möchte er keine Kompromisse eingehen, geliebt wird nach der Regel der Unlustminimierung: „Wer in einer Partnerschaft schwächer ist, liebt in der Regel stärker.“ Deshalb lebt Herr Maucher nach der Devise: „Zügle deine Leidenschaften, aber nicht ohne heimliche Freude darüber, daß du etwas zu zügeln hast.“
Diese karge Maxime nun verbindet Helmut Maucher mit einem abendländischen Archetyp: Odysseus. Der eroberte zwar nur eine Stadt und keinen Weltmarkt, aber auch er wußte: Wer siegen will, muß nüchtern mit der Leidenschaft kalkulieren. Deshalb ist er den Sirenen entkommen, den glücksverheißenden Schönen, die alle Vorbeisegelnden anlockten, um sie anschließend zu verzehren. Hören wollte er den Glücksklang schon, aber schadlos und identisch bleiben. Also ließ er sich von seiner Mannschaft an den Mast binden und hörte die Lustklänge, bewegungslos. Odysseus, so schrieben Horkheimer und Adorno in der guten alten „Dialektik der Aufklärung“, ist damit der Prototyp des „Selbst, das immerzu sich bezwingt und darüber das Leben versäumt, das es rettet“. Der Listige „überlebt nur um den Preis seines eigenen Traums“. Etwas Wesentliches unterscheidet die Sieger des Weltmarktes von Odysseus: Ihr Verzicht auf Lust und Traum ist definitiv, der des Odysseus war nur Aufschub. Odysseus will nach Ithaka, denn nur dort erwartet ihn, was er sich unterwegs nur ungepflegt und mit schlechtem Gewissen gestattet: Genuß. Odysseus ist der zurückkehrende Sieger, für den das Erobern, das Basteln von Trojanischen Pferden nur Umweg war. Nicht der Erwerb ist der Sinn des Lebens, sondern der Genuß. Jedenfalls bei den Griechen und noch einige Zeit danach. Die Sieger auf dem Weltmarkt aber machen immer weiter.
Manche nicht: Clintons Arbeitsminister Robert Reich zum Beispiel, ein beißender Kritiker der neuen Weltordnung, die die Reichen reicher und die Singles zahlreicher macht. Reich hat gekündigt. „Ich habe den besten Job, den ich je gehabt habe“, schreibt er, „ich kann auch nicht genug davon bekommen. Aber ich habe gleichzeitig die beste Familie, die ich jemals haben werde.“ Lange habe er versucht, mit dem Terminkalender eine Balance zu finden. Es ging nicht, denn: „Teenager verlangen nach dir nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt. Deine Frau will nicht auf Befehl Intimitäten austauschen“, und politische Krisen kommen nicht zwischen neun und fünf. Man muß sich entscheiden. Und Reich kündigte seinen Machtjob, um beides bleiben zu können: Berufsmensch und Familienvater.
Dieser Bekennerbrief eines Mächtigen markiert zaghaft die Möglichkeit einer Wende. Revolutionen sind keine Paukenwirbel. Revolutionen setzen sich aus Millionen einzelner Handlungen zusammen. Menschen scheitern, denken, reden. Millionen sind ohne Arbeit. Tausende von Managern und Politstars verlieren die Liebe ihrer Kinder und die Nähe ihrer Frauen, und wenn sie aufwachen, ist das Leben vorbei. Robert Reich ist ausgestiegen und nach Hause gegangen, solange noch Zeit war, einer der wenigen „Helden des Rückzugs“. Der Schritt ist mutig, denn: Frauen lieben nun einmal Sieger. Der Hausmann aber ist kein erotisches Objekt.
Was tun im Dilemma? Wir müssen wohl darauf setzen, daß Frauen eines noch mehr lieben als Sieger. Helden. Helden sind noch besser als Sieger. Odysseus zum Beispiel, der „Erfindungsreiche“ und „göttliche Dulder“, siegt sich eben nicht bis zum Ende durch. Aber er kehrt auch nicht heim, um die Puschen anzuziehen. Er baut eine neue Ordnung auf, und dazu gehört auch, daß er zunächst einmal Gericht hält über alle, die fremdes Gut verprassen und Bettler vor die Tür setzen. Am Ende der „Odyssee“ steht ein Gemeinwesen, das wirtschaftliche Prosperität mit Gerechtigkeit verbindet, in dem Männer und Frauen einander genießen können. New Deal.
Reichs Rücktritt ist etwas Neues: erstes Zeichen eines Lebensmodells professioneller Eliten, in dem, nach all den Anstrengungen der Neuzeit, Raum für Genuß ist. Und der Raum für den Genuß – und für Liebe – ist nun einmal: Zeit. Odysseus macht doch all diese Abenteuer auf Weltmärkten nicht, um das Eigentliche „in der Rente“ zu erleben. Die Helden des kommenden Umbruchs werden mehr wollen als Konsumfreiheit. Und das geht nur, wenn auch in den spannenden Berufen die Arbeit so organisiert wird, daß Männer noch Zeit haben, mit ihren Kindern Abenteuer zu erleben, und Chefinnen die Liebe nicht mit dem Kalender planen. Revolutionen kommen zustande, wenn Wunsch und Not zusammenschießen. Die Notlage ist da: die Arbeitslosigkeit. Aber wie steht es um unseren Wunsch, weniger zu arbeiten. Nicht um Arbeitsplätze für andere zu schaffen. Nicht einmal um des Ideals der Frauenemanzipation willen. Sondern weil wir genießen wollen: uns, die Frauen, den politischen Streit. Merke: „Frauen gehen da hin, wo die Zukunft ist.“
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