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■ SchlaglochWir Landesmütter Von Nadja Klinger

„Was dauert länger – einen Schneemann bauen oder eine Schneefrau? Einen Schneemann. Da muß noch der Kopf ausgehöhlt werden.“ „Emma“-Frauenwitz des Monats

Kürzlich hat sich mir aus beruflichen Gründen folgende Frage gestellt: Haben Frauen die Wahl? Ich habe diese Frage ignoriert, gar abgelehnt, sie für Geld zu beantworten. Doch es war zwecklos. Sie ist beharrlich stehengeblieben und wird mich wohl das ganze Jahr hindurch belästigen.

Sie ist hinterhältig, weil sie, einerseits, nicht wirklich eine Frage ist. Was sie bezweckt, ist, ein Problem so unter die Leute zu bringen, daß die dann die Lösung abkaufen. Im selben Moment, da die Frage sich stellt, holt sie schon zu einer Anwort aus: Natürlich haben wir die Wahl, schließlich ist bekannt, was die einzelnen Parteien für Frauen tun.

Andererseits ist es sinnlos, nicht auf die Frage einzugehen, denn sie ist Wirklichkeit. Mit ihrer Hilfe werden unsere alltäglichen Hoffnungen auf ein Datum delegiert, beschränken sich unsere Bewegungen auf die Wahl. Vor allem wird sie dem Bedürfnis gerecht, „wir“ zu sagen. Als müßten zum Wir nicht erst einmal ausreichend Ichs vorhanden sein.

Ich kenne genügend Frauen, die auffallen; das ist es nicht: Das sind weder laute noch kämpferische Frauen. Sie haben Karrieren, Kinder und Beziehungen, die sich von allen anderen Karrieren, Kindern und Beziehungen unterscheiden, weil diese Frauen sie selbst gestaltet haben. Sie haben nichts für die Öffentlichkeit, sondern etwas für sich geschaffen, und so ragen sie wie Fremdkörper aus der Masse heraus. Das traditionelle Frauenbild können sie jedoch nicht verändern, weil sie aus dem Rahmen fallen, jenem Rahmen, in den die Gesellschaft das Frauenproblem projeziert, um es zusammenzuhalten. Außerdem wollen die Frauen scheinbar lieber zusammengehören als eigenständig sein. Alle Frauengruppen, die ich kenne, von politischen Bündnissen bis hin zu banalen Interessenvereinigungen, definierten sich vor allem über das Frausein. Ich gab in Gruppen meine unpersönliche Anrede her und lachte über Frauenwitze. Nur wenn ich einer meiner „Schwestern“ zufällig auf der Straße begegnete, wußten wir nicht, worüber wir uns unterhalten sollten, weil wir eigentlich nichts miteinander zu schaffen hatten.

Im Bild der Öffentlichkeit sind wir Frauen eine Art Landesmutter, unterstützen den Mann, ermöglichen oder akzeptieren ihn und haben mitunter gar etwas Eigenes entgegenzusetzen. Unser größter emanzipatorischer Erfolg kann es sein, aus seinem Schatten herauszutreten.

In Niedersachsen, so stand es in der Zeitung, trat mit uns „der Sex in die deutsche Politik“. Das war zwar unterhaltsam, jedoch äußerst unpolitisch, denn der Sex „deckt alle gesellschaftlichen Widersprüche unter seiner Bettdecke zu“. Scheinbar hatte die Frau, verheiratet mit Gerhard Schröder, etwas zu bestellen. „Machtstreben, Ehrgeiz, Aufstiegsbewußtsein auf der männlichen Seite“, schrieb die Presse, „Intellekt, geradezu globale Fürsorglichkeit auf der weiblichen.“ Tatsächlich beschränkte sich der Einfluß von Hiltrud Schröder auf den vielzitierten Satz: „Da mußt du was machen, Gerd.“ Daß sie sich auch selbst noch engagierte, verklärte das Bild von ihrer herausragenden gesellschaftlichen Stellung nur noch mehr. Wahrhaftig lag sie lediglich unter der Zudecke, dicht neben Gerhards Macht. Und da sie den Sex in die Politik eingeschleppt hatte, sollte sie die Bettgeschichte am Ende auch ausbaden. „Hiltrud Schröder hat nicht nur den Mann verloren, sie hat die Bühne verloren... Was konnte sie sich nicht alles leisten, als er sie noch liebte!“ Und während die Verlassene traditionell- weibliche Geschütze auffuhr und in Presse und Fernsehen auf den Ex-Mann schoß, gab Alice Schwarzer Rückendeckung, indem sie traditionell-weiblich Schröders neue Liebe madig machte: „Da ist eine bewundernde junge Frau allemal bequemer als ein wissendes Gegenüber.“

Da sind wir Landesmütter in Sachsen lockerer. „Das wird schon wieder“, sagt Ingrid Biedenkopf den Menschen, die sie regelmäßig zum Kaffee einlädt. Auch Kurts Frau hat etwas zu bestellen: Sie macht die Tradition gesellschaftsfähig: „Die Stärke der Frau liegt darin, weiblich zu sein. Wärme, Kraft und Liebe zu geben. Auf dem Boden zu stehen.“ Wie Deutschland, so ist auch die Landesmutter tief gespalten: Leider seien die westdeutschen Frauen sehr verwöhnt und nur damit beschäftigt, sich selbst zu verwirklichen. „Frauen aus dem Osten hatten keinen Wohlstand, andere Interessen als Kleider oder Lippenstift. Sie sind dem Frausein näher, sind erdnaher.“

Ingrid Biedenkopf tickt nicht richtig, aber dadurch, daß ich das sage, gehen die Uhren auch nicht anders. Es fänden sich genug Ansichten, die den ihren entgegenstehen. Doch auf die Frage, welches Bild sich die Bundesrepublik von ihren Frauen macht, wüßte ich keine Antwort. Spontan fällt mir ein, daß Hiltrud Schröder ihren Mann und den Bild-Chefredakteur mit den Worten „Hopp, hopp, meine Herren, jetzt brauche ich das Zimmer!“ vom Sofa hochscheuchte, obwohl die gerade mitten in einem Interview waren. Doch ich erzähle das nicht, weil es nicht lustig, sondern tragisch ist, daß dies im öffentlichen Gedächtnis als Episode von der selbstbewußten Frau herhalten muß.

Durch meinen Kopf zieht Claudia Nolte, die die Probleme der deutschen Mütter, mit der Kinderbetreuung alleingelassen zu sein, an exponierter Stelle karikiert, indem sie in Bonn arbeitet, während ihr Mann Haus und Nachwuchs betreut. Gunda Röstel kommt mir in den Sinn, die Politik macht, indem sie politische Platitüden in ihren Heimatdialekt überträgt, oder Andrea Fischer, die hinterm Rednerpult mit derselben Rhetorik brilliert, die wir an vermeintlich männlicher Politik verabscheuen. Ich erinnere mich an Doris Köpf-Schröder, die Neue, wie sie im Gästehaus der Landesregierung die Sofakissen glattstreicht, oder an Christa Müller, mit der man sich laut Zeitungsbericht „wunderbar über die SPD unterhalten kann, ohne daß sie gleich die Krallen ausfährt“, oder an Mandy Wötzel, Olympiadritte im Paarlauf, die sich angewöhnt hat, „einer Meinung mit meinem Partner zu sein“, sowie Hannelore, die „einen schönen Gruß von unserem Helmut Kohl ausrichtet“. Wir zu sagen, kommt mir allerdings nicht in den Sinn.

Einzig Brigitte Maria Mayer verleitet mich. Nachdem man ihr öffentlich Prügel angedroht hat, weil ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes auf seinem Grab noch kein Stein stand, bemerkte sie: „Es gab mich vor Heiner Müller, mit Heiner Müller, und es gibt mich auch nach Heiner Müller.“ Mit ihr kann man sich nicht einfach zusammenschließen, denn sie fällt aus dem Rahmen. Auch eine Frau muß sich mit ihr auseinandersetzen, kann sie gewinnen oder kann verlieren. Im ersten Fall würde dann ihr Ich und mein Ich kurz über die Frage nachdenken: Haben Frauen die Wahl?

Danke, würden wir antworten, wir haben schon gewählt.

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