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■ SchlaglochEine Einheit hinten, eine vorn Von Klaus Kreimeier

„Die Polizei hätte uns

begleiten müssen, eine

Einheit vorne, eine hinter

uns, so wie sie es in

Deutschland machen.“

Hooligan „Spike“

im „Spiegel“-Interview

Hooligan „Spike“ kritisiert die französische Polizei. Ein bißchen mehr Ordnung hätte es schon geben müssen, dann wäre das Schlimmste zu verhindern gewesen. Auch die Randale will organisiert sein, viereckig zackig nach Möglichkeit, mit der Staatsmacht vorneweg und als Rückendeckung; Samstag für Samstag wird das ja in deutschen Städten mit Erfolg durchexerziert. Die Hooligans sind bereit, die Rolle des Grundbösen zu übernehmen – aber das Spiel braucht eine Geschäftsordnung, damit es als Gesellschaftsspiel funktionieren und dem Fernsehpublikum unmißverständlich und auf hohem pädagogischem Niveau demonstrieren kann, wo die Grenzlinie zwischen Gut und Böse verläuft und wie die Existenz des Diabolischen im Alltag gemanagt werden kann.

Auf den Abscheu gegen Hooligans können wir uns alle schnell einigen – schon darum, weil sie, in diesem Punkt nahezu raffinierte Selbstdarsteller, den Kult des Häßlichen bis zum Exzeß treiben. Intuitiv wissen sie genau, wie in einer nachbürgerlichen Ära ein Bürgerschreck, wie im Zeitalter des mit seinen Lifestyle-Insignien behängten Boss-BMW-Cyber-Yuppies mit garantiert aknefreier Haut ein Scheusal auszusehen hat.

Das Spiel funktioniert: Prompt macht der Spiegel in der Aggressionsbereitschaft des Hooligans das „Tier im Menschen“ aus, und ausgerechnet der glitschige Tambourmajor aller hightechwütigen Zivilisationsrambos unserer Tage, Michael Schumacher, denkt öffentlich darüber nach, wie die Bestie einzuschläfern sei. Auf der Fahndung nach dem Bösen an sich stolpert plötzlich so mancher gute Deutsche über den KZ-Arzt in sich selbst.

Mit den jugendlichen Neonazis haben die Hooligans, außer den Glatzen, eine sozialhygienische Reinigungsfunktion gemeinsam, die Linke und Rechte, Politiker und Ästheten, Modernisierungsfans und Wertkonservative, Gewinner und Verlierer dieser Gesellschaft dank der Wirkungsmacht des Feindbildes vereint. Als deutsche Jugendliche in Lens den Polizisten Daniel Nivel halbtot geschlagen hatten, vermuteten Politiker verschiedener Couleur so etwas wie eine Symbiose zwischen Hooliganterrorismus und rechtsradikaler Brutalität. Eine Wunschkonstruktion, die ganz in jenes Schema paßt, nach dem gesellschaftliche Komplexität auf möglichst klare Fronten, auf einheitliche Gut-böse-Konstellationen und vor allem auf ein geschlossenes Feindbild zu reduzieren sei, in das man die unterschiedlichsten Störfaktoren und sozialen Abweichungen auf einmal hineinpacken, luftdicht abschließen und, ginge es nach Schumacher, für die Einschläferung freigeben kann.

Gerade weil, nach dem Szenario unseres Bundesinnenministers, unserem Streben nach individuellem Glück und gesichertem Wohlstand eine Vielzahl äußerer und innerer Feinde droht – Mafia, religiöse Sekten, Fundamentalisten, Asylbetrüger, Gewaltverbrecher, Links- und Rechtsextremisten, undefinierbare eingewanderte Subjekte an jeder Straßenecke und nun noch die Hooligans –, bedarf dieses unübersichtliche Panorama immer wieder einer Zusammenfassung, einer Vereinfachung der Strukturen und einer Bündelung der hygienischen Gelüste auf ein sichtbares Zentrum. Im Zuge der Globalisierung erweisen sich Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften auch darum als nützlich, weil in ihrem Schatten die devianten Produkte der Gesellschaft in Gestalt von Attentätern und Hooligans eine transnationale Bühne finden und auf dem Großbildschirm der weltweiten Aufmerksamkeit als das Böse par excellence, als das schlechthin Andere dingfest gemacht werden können.

Die derzeitige Konjunktur roher, unmittelbar physischer Gewalt „in der Mitte der Gesellschaft“, multipliziert durch ihre bildmediengestützte Publizität, begünstigt dabei zweifellos die Pläne jener, die unser Gemeinwesen in eine videoüberwachte Festung verwandeln wollen. Aber dieses Wechselspiel allein wäre nicht neu. Vor allem: Es wäre kontrollierbar durch die Präsenz demokratischer Organe und demokratischer Sensibilität. Den Erfindern neuer repressiver Gesetze ist ohnehin jeder Anlaß willkommen – und wenn sie clever und mit erforderlicher Sturheit ausgerüstet sind wie Kanther, verweisen sie sogar kaltschnäuzig darauf, daß sie gar keinen Anlaß wie die Gewaltorgie in Lens benötigen, um zum Beispiel den Bundesgrenzschutz zu einer national flächendeckenden Durchgreiftruppe umzubauen. Kanther hat recht: Die zeitliche Koinzidenz ist reiner Zufall; nicht nur die Pläne zur „Schleierfahndung sind älter, sondern auch der Beschluß, sie umzusetzen“.

Die wirkliche Katastrophe sind weder gewaltsüchtige Hooligans und Neonazis auf der einen noch die staatstragenden Scharfmacher auf der anderen Seite. Es ist vielmehr der allgemeine Verfall der demokratischen Sensibilität, die immer schwächer auf das Zusammenspiel zwischen den beiden Seiten reagiert. Es stimmt: Der Anblick zügelloser Gewalt „stumpft ab“, aber es sind nicht die verblutenden Opfer, denen wir unser Mitgefühl entziehen – es sind die Risse im rechtsstaatlichen System, die von den Sonden des demokratischen Bewußtseins kaum mehr ausgemacht, geschweige denn als alarmierend wahrgenommen werden.

Spätestens seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf politisches Asyl sind die Stimmen, die in der Verfassung mehr als einen nach Bedarf manipulierbaren Katalog guter Absichten sehen, auffallend leise geworden. In den Debatten um den Großen Lauschangriff wurde deutlich, daß selbst tiefe Einschnitte in elementare bürgerliche Freiheiten mittlerweile breite politische Mehrheiten finden. Die Paralyse, die das Bewußtsein der liberalen, „linksbürgerlichen“ Intelligenz befallen hat, hat einen Namen – zumindest einen, der sie im parlamentarischen Spektrum symbolisiert: Otto Schily. Hier steht jemand mit seiner politischen Biographie für einen Klimawechsel ein, den man nur als schleichende Erosion demokratischer Überzeugungen bezeichnen kann. Weil Politiker wie er heute den innerstaatlichen Verkehr (mit-)regeln, fällt niemandem mehr auf, daß wir 1998 Gesetze haben, gegen welche die 1968 gegen massiven Widerstand eingeführten Notstandsgesetze sich nachgerade harmlos ausnehmen.

Das geordnete Weltbild im Kopf des Hooligans „Spike“ bringt die Verhältnisse auf den Punkt. Die Gewalttäter schlagen zu, die Polizei sichert das Terrain, Schumi ruft nach einer sanften Endlösung, und die Seilschaft Kanther/Schily schafft die passenden Gesetze. Der korrekte miltärische Rahmen garantiert, daß die gesellschaftlichen Strukturen auch für politische Analphabeten lesbar, Gut und Böse klar erkennbar bleiben. Eine Einheit hinten, eine vorn – so ließe sich auch die Verfassung unauffällig zu Grabe tragen.

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