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■ SchlaglochDer Elefanteneckige Von Friedrich Küppersbusch

„Ich nenne Sie doch auch

nicht einen gewissen

Herrn... Wie heißen

Sie denn?“

Gerhard Schröder am

Montag vor der Bundes-

pressekonferenz

Dann noch ein vernuschelter Versatzsatz, irgendwas mit „sich nicht provozieren lassen“, und fertig war der Tiefpunkt der Hochzeit: Schröder, der rüde Rühe, kann nix ab. Ein sich damit historische drei Sekunden erwerbender anonymer Kollege hatte bei der ersten Pressekonferenz des designierten Bundeskanzlers manieriert gefragt, was „denn nun mit diesem gewissen Herrn Stollmann“ sei. Schröder, sein epochaler Wahlsieg ist noch keine 24 Stunden alt, verliert für Sekunden die Fassung. Bölkt wie zitiert zurück, verhaspelt sich freudlos freudianisch, läßt sich also zu der Behauptung provozieren, daß er sich nicht provozieren lasse.

„Wir nennen ihn schon mal den Elefanten“, läßt ein Medienberater Schröders durchblicken, daß er hier gerade was durchblicken läßt, was man namentlich nicht zitieren könne. Okay, geht ja auch so: „Elefant“ im Sinne von langem Gedächtnis, „der vergißt nichts“, und wenn doch, dann wenigstens niemandem. Das muß hart gewesen sein zu der Zeit, als seine Betreuer Sendezeiten und Talkauftritte sammelten. Vorgänger Willy Brandt pionierte ins Fernsehen, nutzte Ansprachen ans Volk; Kohl verwaltete dieses poppig bunte Erbe lustlos mit jährlichen Sitzungen vor der Fahne. Dissens mit der SPD? Ja, der Maschinensturm gegen das Privatfernsehen sei ein zentraler Fehler gewesen, wird Schröders Auffassung skizziert. Mal sehen.

Noch ein Teflonkanzler wäre auch langweilig. Kohl als freier Mitarbeiter der Titanic, die schon früh begann, kohlfreie Titelbilder besonders lobend, weil selten, herzustellen. Selten war soviel Witz so witzlos, man versuchte Scherze über Kohl und machte sie doch unter ihm. Birne, der Oggersheimer, telefoniert mit 'nem Bügeleisen, Dick und Doof, frißt, bis er platzt. Peinlicher als Kohl war bald die ritualisierte Übung, ihn als peinlich darzustellen. Erst als man auch diese Niederlage weggesteckt hatte und auf Kohl immer wütender rumtrümmerte, einfach um auszuprobieren, ob es überhaupt noch eine Schmerzgrenze gibt: beim Publikum, nicht beim Objekt – hatte es wieder etwas. Etwas Beiläufiges.

Zu Spitzenzeiten hätte man der Telekom gern nahegelegt, kohlimitationsfreie Anrufbeantworter im Telefonbuch gesondert auszuweisen. Ein Rudel Stimmendoubles wird nun ausgewildert; vielleicht Elefantenfriedhof. Wie karikiert man einen Schröder? Das Schröd? Vierschröder? Haifischzähne, volle Haare, kernige Nase. Beim Durchblättern der Blätter sieht man, daß man nichts sieht, jedenfalls noch nichts. Kohl hat als Kassenbrille mit Pfeife früh viel angeboten. Karikatur macht durch Übertreibung deutlich, dann war Kohl wohl Karikaturist.

Schröders kurze Reizbarkeit am Tag danach darf nicht überbewertet werden; es war die schwächste Viertelminute in einer über einstündigen stampede auf den Star. Einmal noch fuhr er Lafontaine über den Mund, aber da hatte der fragende Journalist eine Doppelfrage ohne klare Adresse gestellt; das geht immer schief. Alles andere als „schlecht bis nicht geschlafen“ wäre zu dick.

Und noch dieselt Kohls Allgegenwart nach, der Herr des Verfahrens als Herr des Verfahrenen; nie war er so gerdvoll wie heute: „Witzig, jungenhaft, souverän, humorvoll, selbstironisch absolvierte Kohl am Ende seiner Amtszeit seine medienmäßig brillantesten Monate.“ „Am Petersberg“ bei RTL Alice Schwarzer betört. Die aus seiner Sicht „linken“ RTL- Profis Mahr und Kloeppel freundlich-bestimmt bedient. Großes Spießrutensitzen in der ARD, kein Problem mehr; sogar Zwischenfragen hingenommen. Als Wahlverlierer auf die Bühne des Adenauerhauses: Seither tuscheln viele gar von „Erleichterung“, so souverän trat er da auf und ab. Innenminister Kanther herrenmenschelt kieferknirschend was von „einzigartiger Medienkampagne“ in die Kamera, die Wahlniederlage wegzudelegieren. Kohl aber verdrohheißt den Journalisten zum Abschied, er werde ihnen auch „als einfacher Abgeordneter mit meinem bewährten Charme zur Verfügung stehen“.

Der Vergleich zum Neuen wäre unfair; der hat noch gar kein Image, über das er sich lustig machen könnte. Doch. Das mit dem „Mediendarling“ haftet ihm bereits an, und bei allem Jubel über den unterm Strich würdigen Abgang der Alten wird man sich doch in wenigen Wochen wieder an den Mehltau erinnern, an die Sprachlosigkeit zwischen Regierung und Regierten, die diese 16 Jahre auch kennzeichneten. Ein „Meet the press“ nach amerikanischem Vorbild würde Schröder gut stehen, und vor allem: Ihm ist das zuzutrauen. Zur Zeit sendet Phoenix eine Grunge-Version, die schlicht abgefilmte Bundespressekonferenz, siehe oben. Gerade noch rechtzeitig demonstriert das US- System seine Abseite: Wie das ist, wenn die Medien mit einem Darling Schluß machen. Doch ein Kanzler, der seine auch vom Gegner unbestrittene Fähigkeit, vor den Kameras zu bestehen, nicht nur feiern, sondern nutzen will, kann jetzt auch Mediengeschichte schreiben. Namentlich das Fernsehen ist nicht nur so doof, wie man reinguckt.

Natürlich ist Streit dem Deutschen ein Übel. Schröders „Danke, Helmut, aber jetzt reicht es“-Mantra war lobförmige Kritik, also genau clever. Einmal die Woche „Schlechte Laune mit Gerd“ schadete eher ihm als dem Menschenfressermedium. Täte er es doch, wäre er, was er nicht ist: schlecht beraten. Andererseits hat sich die ehedem sozialdemokratische Medienpolitik zu schierer Standortklempnerei verstümmelt. Schröders Brauch, mal im einen oder anderen Sender den einen oder anderen Hierarchen anzurufen, ist da noch keine Trendwende. Das larmoyante Weltuntergangsgemümmel vieler Konservativer, so habe man das mit dem kommerziellen Fernsehen ja nun doch nicht gewollt, ödet. Es wird erst recht nicht hübscher dadurch, daß sich Reaktionäre beim Kampf gegen liberale Medien bei versprengten linken Kommunikationstheoretikern unterhaken können. Ja, Zuckerwattefernsehen macht Gehirnkaries. Nein, Vollkornfunk will keiner gucken.

Das US-Format „Meet the press“ ist nicht viel mehr als eine Horde wohl handverlesener Journalisten, die wöchentlich zur Audienz im Weißen Haus vorgelassen werden. Kameras. Mikrofone und Übertragungswagen davor, fertig. Wer da mitfragen will, muß sich vorher benommen haben.

Doch ist unserem Berufsstand zuzugestehen, daß wir – wenn sonst nichts hilft – wenigstens aus Eitelkeit ab und zu mit einer guten Frage auffallen wollen. Das hieße für Schröder nicht, sich mit den Unterhosenrechercheuren ins Bett legen zu müssen. Es könnte auch heißen, ein paar Risse im Image davonzutragen. Aber es birgt vor allem eine Chance auf nachgerade undeutschen Fortschritt: Streit austragen und aushalten. Die Sprachlosen sind gerade abgewählt worden.

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