■ Schlagloch: Stützt die Buch-Stützen Von Christiane Grefe
„Der Teufel ist für mich nicht der große Verwirrer, sondern der große Vereinheitlicher. Er versucht die verschiedenen Ansichten zu homogenisieren, bis alle dasselbe denken, glauben und tun.“
Der Kybernetiker Heinz
von Foerster in der „Zeit“
Ihre dunkelsten Jahre, gestand Rita, habe sie einst in meinem sauerländischen Geburtsort verbracht. Die Ehe hatte sie dorthin verschlagen. Doch die Liebe erstarb im Lande von Veltins und Dauerregen, wo die Menschen nur reden, wenn es gar nicht mehr anders geht. Daß sie die kulturelle Brache überhaupt so lange ausgehalten habe, schreibt die Freundin einzig der örtlichen Buchhandlung zu. Der von entzückenden Buchrücken entfachten Neugier auf Phantasiefluchten. Und den Lesungen; seltenen Störfällen in der Kleinstadtkariertheit.
Ritas Erfahrungen mögen ein wenig überholt sein. Immerhin wuchsen seither auch hinter den sieben Bergen ein Freizeit-, ein Einkaufs- und ein Kulturzentrum empor, durch welche die Markenartikel der Freizeitwaren- und Operettenwelt, seltener auch mal ein Kabarettist, ziehen. Dergleichen Normkultur steigert allerdings eher die Bedeutung der Buchhandlung als Chance, auch dem Unverhofften zu begegnen. Preisen wir also die eigentlichen Kulturhelden, jene „draußen im Lande“ – ehe sie untergehen.
Wie herrlich erschüttert ist zum Beispiel Nordhorn, wenn in Viola Taubes Literaturladen die Ex-Prostituierte Domenica ihre Biographie vorstellt – interviewt ausgerechnet vom Pastor! – und die Zuhörerinnen hinterher feststellen müssen: Die Ex-Domina könnte gut meine Kaffeeklatschfreundin sein... In einem Schlafkaff namens Langen bringt Rosalind Cowards Mütterbuch drei einander fremde Frauengenerationen bis tief in die Nacht ins Gespräch. In Nürtingen folgen auf Kinderbuchwochen eisern mehrtägige Kafka-Seminare. Harald Schumann klärt im Badischen über die Globalisierung auf. Und laut schallt, intoniert von Harry „the voice“ Rowohlt, Flann O'Brien über die Norddeutsche Tiefebene...
Vor allem dann weht, so das neue kursbuch, „der Geist in der Provinz“, wenn es dem Verkäufer gelingt, einen Konsumenten von Grisham-Schinken außerdem noch für einen Roman Andrei Makines oder womöglich gar einen russischen Lyrikband zu erwärmen; wenn ein Unentschlossener zum neuen Tim Parks greift oder einem Essay über „Die Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Auf Empfehlung des Buchhändlers – der so auch als unverzichtbarer Außenbordmotor jener anspruchsvollen Verlage wirkt, die noch neugierig sind und deren Angebot sonst ertränke im Meer der Überproduktion. Immer stärker aber ist der Sortimentsbuchhandel von den dramatischen Umbrüchen der Branche bedroht: Die Buch-Stützen könnten umfallen.
So werden jene Leser, die schon wissen, was sie wollen, ihre Lektüre via Internet selbst bestellen. Dem Konzentrationsprozeß der Verlage beim Kampf um Rechte und Vermarktungsvorsprünge folgt jener des Handels: Die Ketten werden mehr und länger. Manche verdrängen, wie Hugendubel, die Kleinen schlicht durch Masse, während andere à la „Weltbild- plus“ mit einem total beschränkten, aber hocheffizient vermarkteten Repertoire von Unterhaltungs-, Lebenshilfe- und Kochbuchtiteln, teils aus Restauflagen, abräumen. Gerade in mittelgroßen und Kleinstädten machen sich die Last-Minute-Geschenkschleudern breit, meist in den günstigsten Innenstadtlagen. Daß sich die katholischen Weltbild-Verleger soeben mit Droemer-Knaur, sprich: Holtzbrinck, liiert haben, steigert noch beider Potenz.
Und als stünde den Feinkostläden für geistige Nahrung mit dergleichen Konkurrenz das Wasser nicht schon bis zum Hals, soll nun nach dem Willen des EU-Kommissars Karel van Miert auch noch die Buchpreisbindung fallen. Damit würde nicht nur die rein ökonomische Ausrichtung der Verlagsmanager auf bestens Verkäufliches immer monomanischer; einzig weil die Preisbindung Kalkulationen einigermaßen berechenbar macht, riskieren sie es doch heute noch, unbekannte Autoren mit Tausender-Auflagen zu drucken. Billigst werden außerdem Buchhandelssupermärkte die durch immer kürzere Halbwertszeiten gejagten Titelschlager verschleudern – und so den Sortimentsbuchläden die Kunden wegnehmen. Denn weil diese den „Pferdeflüsterer“ in kleinen Stückzahlen teurer ein- und verkaufen müßten, kriegten sie vom leichten Bestsellergeschäft nichts mehr ab – das aber auch ihr Schwarzbrot garantiert. Ein Todeskampf wie einst jener der Plattenläden im Würgegriff von Mediamarkt und WOM.
Gewiß beschleunigt sich da ein Prozeß, der lange im Gang ist. Schon jetzt haben ja vor allem Flachdenker wie der Zukunftsfuzzi Michio Kaku oder der fünfhundertste „freche Frauenroman“ Konjunktur. Doch ebenso wahr ist: Nur die immer noch breit gefächerte Struktur ermöglicht Kultur. Mit ihrer Zerstörung verschwände unwiederbringlich ein Potential zur in den kleinen Raum projizierten Gedankenvielfalt; drohten von Niederbayern bis zum Emsland Kulturwüsten wie in den kartoffeligen Weiten von Idaho. Und anschließend pompöse Verlustkongresse, finanziert von der Bertelsmann-Stiftung? Der Beweis ist erbracht: Länder, wo die Preisbindung für Bücher gilt, bieten in Städten mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern noch durchschnittlich dreimal so viele Buchhandlungen wie Staaten, in denen sie gefallen ist. In der Bundesrepublik kommt ein Buchladen auf 15.000 Einwohner – nur einer auf 269.000 in den USA. Augenscheinlich diene die Preisbindung, resümmiert Gerhard Beckmann in der Süddeutschen Zeitung, „flächendeckend und kauffördernd dem Zugang der Bevölkerung zum Buch“. Die Bastion muß also gehalten werden.
Was die Buchhändler nicht vom Zwang zu noch mehr Service – Recherchen, Beratung, schneller Lieferung – entbindet. Und zu mehr Profil: Die Regel ist es schließlich auch wieder nicht, daß passioniert Lesungen und Schulbesuche organisiert werden. Über solch individuelles Gestrampel hinaus wurde auch Branchenmarketing verschlafen: Wer durchschaut denn schon, daß er bei „Weltbild-plus“ eben nicht jedes Buch einen Tag später kriegt und es nur mit Verkäufern zu tun hat statt mit Fachleuten? Der Börsenverein ist für dergleichen Offensive von zu unterschiedlichen Interessen bestimmt. Vermutlich muß es neue Zusammenschlüsse derer geben, die gleiche Interessen haben; ähnlich wie bei den Privathotels gegen Maritim und Holiday Inn.
Manche Provinzhelden geben derweil wenigstens die Demutshaltung auf, zu der der Ökonomismus ihr „nostalgisches“ Kulturverständnis verdonnert. Viola Taube hat mal ein ganzes Schaufenster mit Klopapierrollen dekoriert und daneben die Rechnung aufgestellt, wie teuer im Vergleich die Herstellung des Produktes Buch ist. Und Kunden, die schimpfen: „Was, 68 Mark soll das kosten?!“, antwortet sie so: „Genau – bloß 68 Mark! Für so viel Gedankengut!“
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