Schlagloch: Ein zukünftig schwarzes Goldgräbergroßdorf
■ Von Friedrich Küppersbusch
„Dort Mund. Hier Arsch.“ Carl (7) zur Etymologie des Namens seiner Heimatstadt
Tatsächlich ist der Junge im südlichen Vorort Herdecke zur Welt gekommen, wo die anthroposophische Uniklinik Wehentropfen feil hält, bis der Arzt kommt. In Herdecke wohnt auch Dr. Volker Geers, was beiden nicht das Recht nehmen sollte, sich als Dortmunder zu fühlen und zu geben. Dem Jungen bestreitet das auch niemand; der will aber auch noch nicht Oberbürgermeister werden im Niederbayern der SPD. Christdemokrat Geers dagegen will das schon. Und wird es auch.
Dass hier der Arsch begraben liegt, liegt indes an der Entschlüsselung des Ortsnamens. Binnen hundert Jahren zusammengerafft aus rund 50 Dörfern, wusste in der Eile keiner, was „Dortmund“ eigentlich bedeuten soll. Man behilft sich gelegentlich mit „throtmanni“, was „trutzige Männer“ heiße und ja auch mit Blick auf die legendäre Abwehrreihe des BVG oder die Kohlekumpels stimmt. Dortmund ist die Bergbaustadt, die 1985 die letzte Zeche schloss.
Dortmund ist „Europas Bierstadt Nummer eins“, die seit der Schöpfung dieses Slogans vor 20 Jahren fünf von sieben Brauereien verlor. Dortmund ist Stahlstandort, jedenfalls solange Krupp seine Neuerwerbung Hoesch noch nicht ganz liquidiert hat. Dortmund ist „Westfalenmetropole“ wie sonst allenfalls noch die Weltstädte Münster oder Bielefeld. Kurz: Dortmund ist, was übrig bleibt, wenn die Großindustrie mit einer Gegend im Wesentlichen fertig ist.
In den 50ern klopfte Opel an: Man wolle im Westen ein Werk hochziehen, nah an den Stahlwerken. Da war man noch so selbstbewusst, die Rüsselsheimer abzuweisen. Der Rest heißt heute „Industriebrache“ in Dortmund und „Opel-Werk“ in Bochum. Damals wäre ein bizarrer Selbstmordversuch gewesen, was dem Juristen und Hörgeräteakustiker Geers heute ins Rathaus hilft – der Slogan „Ein Unternehmer für Dortmund!“. 55 Prozent der Befragten wollen am 12. September den Mann wählen, der exakt so alt ist wie die SPD-Herrschaft am Ort, 53 Jahre. SPD-Kontrahent Langemeyer liegt bei 32 Prozent, der Grüne Jürgen Mohr bei 9 Prozent. Die „Republikaner“ waren vorvergangenes Mal auf Anhieb mit 7 Prozent im Rat, zerfleischten einander beherzt und verschwanden so ansatzlos, wie sie kamen. Vielleicht wählen sie nahtlos wieder SPD, die sie als Law-and-order-Partei, als die Partei der starken Männer, als ererbte Herrschaftsform in dieser Gegend empfinden mögen.
Schließlich kann sich die Mallinckrodtstraße im Norden mit der Mannestat rühmen, dass dort auch am 1. Mai 1934 noch die roten Fahnen aus den Fenstern hingen, bis die Gestapo kam. Sie mündet auf den Borsigplatz – wer sich bei Anwohnern nach dem Weg erkundigen möchte, sollte rudimentäre Türkischkenntnisse mitbringen – und verbindet so auch äußerlich die wesentlichen Dortmunder Religionsgemeinschaften. Rotzfrech pflastert die CDU die Stadt seit Wochen in Schwarzgelb. Und zwar nicht dieses eklige Neonkotzgrün oder Kann-auch-Durchfall-sein-Hellbraun, das der BVB zwecks Trikotverkauf alle naslang zur Saisonfarbe erhebt. Sondern das gute alte Dottergelb, das wie Manni Burgsmüller, Norbert Dickel, Uhu-Kleber als Sponsor und Wiederaufstieg aus der zweiten Liga schimmert. Empört teufelt der SPD-Ortsverein Aplerbeck gegen diese „Mauschelei zwischen BVB und CDU“, kalt grinsend kontert Vereinsmanager Michael Meier: Natürlich stehe es jeder Partei frei, in den BVB-Farben zu werben. Das wird die Roten freuen. Einem Bäckermeister, der sich vor Jahren mit „BVB-Brötchen“ aufs Trittbrett wagte, trat der Rechtevermarkter UFA etwas engagierter in die Waden.
Rote Fahnen, aber auch selbst noch unrühmlich Soldat gewesen; Arbeiterführer und Arbeitsdirektor bei Hoesch, strammer Kanaler und doch „für die Ausländer in Dortmund, ohne die Borussia auch nicht erfolgreich wäre“, keine Trunkenheitsfahrt, aber immer ein Dortmunder Bier in der Hand: Das ist Günther Samtlebe, um dessen Erbe es hier geht. Wohl selten hat die junge Brut dem alten Wolf zu Ehren sich so eindrucksvoll zerlegt wie hier. „Nach dir kommt nichts Gleichrangiges mehr!“, gibt die Dortmunder SPD ein Musterbeispiel an humaner Berentung. Der ausgeguckte Nachfolger, Fraktionschef Drabig, wurde mit einer politisch nicht korrekten Privatangelegenheit „um den sicheren OB-Job gebracht“. Schreiben die Blätter, als hätte keine Wahl dies verhindern können. Veteran Samtlebe, inzwischen über 70, musste noch mal einspringen, bis man mit Gerhard Langemeyer den Nachnachfolger fand. Den kennt jetzt natürlich keine Sau – und so sieht seine Kampagne auch aus: Der Kandidat hinterrücks, in der Rechten eine Tabakspfeife, wie sie auch Samtlebe gern schmaucht. „Egal wer, es ist immer eine Pfeife“ wäre ein hübscher Slogan dazu. Stattdessen prangt es „Der Beste muss ran“, und das ist natürlich Samtlebe, weiß doch jeder seit über 20 Jahren. Als die ersten desaströsen Umfrageergebnisse einliefen, wandte sich Langemeyer nicht dem Gegner zu, sondern startete ein Mobbing gegen Parteifreund Drabig, der so auch den Fraktionsvorsitz los wurde. Macht noch 8 Prozent weniger.
„Wir wollen das nicht kommentieren“, hört man dazu aus der CDU-Kampagnenzentrale; in der Nüchternheit eben, die Leute aufbringen, die gerade einen Lachkrampf bezähmen. Eigentore des Gegners darf man bejubeln, aber beim dritten Eigentor hört man eben auf, den Schützen ausdrücklich zu beglückwünschen. Sein eigenes Angriffsspiel, das weiß der Chef einer Hörgeräte-Filialkette, ist nicht so zwingend, dass er des Gegners Hilfe nicht bräuchte. Das vielfach vorbestrafte Kürzel CDU ist auf seinen Großplakaten kaum zu finden. Langemeyer wird zum „Langweiler“, die „Genossen“ sollen „wegtreten“, und das Autokennzeichen DO gerinnt zum Smilie-Logo für die Geers-Kampagne: Das ist immerhin so etwas wie Werbung, wo die regierende Partei längst dazu übergegangen ist, dem Wählerpack das Stattfinden eines Stimmeneinzugs bekannt zu geben.
1945 war Dortmund ein Trümmermeer, und alliierte Pläne sahen vor, von den drei Kanonenschmieden Essen, Bochum und eben Dortmund nur eine, höchstens zwei, aber bestimmt nicht Dortmund wieder aufzubauen. Ein Blick auf die Architektur der Innenstadt beweist, dass Teile dieser Planung konsequent eingehalten wurden. Not und Hunger ließen die Stadt doch schnell wieder wachsen, Kohle und Stahl versorgten das Wirtschaftswunderland, Dortmund wurde nicht Agrarland, Bayern und andere, denen ohne die Nachkriegsblüte des Ruhrgebiets der Hintern abgefroren wäre, bedankten sich später mit eifrigen Vorschlägen, wie Kohle- und Stahlsubventionen zu streichen wären. Italiener, Türken, Griechen und andere integrierte die Kommune wie hundert Jahre zuvor Arbeitsmigranten aus Schlesien oder Polen. Damit war Dortmund eine Art Goldgräbergroßdorf, in dem keiner auf die Idee kommt, nach der Zukunft ohne Gold zu fragen. Und diese Zukunft ist jetzt. Die SPD hat sich über Jahrzehnte an all das gewöhnt und vor allem: an sich selbst. Dass die „Herzkammer der Sozialdemokratie“ (Wehner) bald einem Schwarzen unterstehen dürfte, beweist, dass es selbst hergelaufene Dortmunder gern haben, wenn der Kandidat sich ein bisschen um die Stimmen bemüht.
Dortmund ist das, was übrig bleibt, wenn die Großindustrie fertig istIn Dortmund kam keiner auf die Idee, nach einer Zukunft ohne Gold zu fragen
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