piwik no script img

Schlagloch LiberalismusLiberal sein? Gern! Nur wie?

Kommentar von Georg Seesslen

Der politische Liberalismus ist gestorben. Woran eigentlich? Und warum ist sein Untergang auch für die Linke gefährlich? Ein Debattenbeitrag.

Geschrumpft: die Freiheitsstatue. Bild: dpa

E s sind die drei Hauptpfeiler einer bürgerlichen Demokratie, wie man so sagt: der „Konservatismus“, die Sozialdemokratie und der Liberalismus. Die drei ergänzen sich, so ist das gedacht, einigermaßen prächtig, insofern sie imstande sind, sich wechselseitig die Spitzen abzubrechen, einander zu moderieren und zu kontrollieren.

Richtig geklappt hat das noch nie, aber so epochenweit wie heute war man wohl auch noch nie davon entfernt. Jetzt sind die Konservativen ja nicht mehr konservativ, sondern zerfallen in rhetorische Reaktion (einschließlich des endlosen „Zündelns nach rechts“) und ökonomische Hysterie (Scheiß auf alles, was anderen erhaltenswert erscheint, wenn es dem Wettbewerb, dem Wachstum und dem „Fortschritt“ dient), und die Sozialdemokratie – reden wir von etwas Erfreulicherem. Zu welchem unglückseligerweise der Liberalismus ganz und gar nicht zu zählen ist.

Zunächst einmal ging eine, wenngleich prekäre, Einheit von politischem und wirtschaftlichem Liberalismus flöten. Den wirtschaftlichen Liberalismus kaperten einfache alle Konkurrenten, manchenorts gar Parteien, die noch ein „sozialistisch“ im Namen führten; dazu wurde überhaupt kein eigenes Programm mehr gebraucht, so dass Wirtschaftsliberalismus als Programm in einer europäischen Demokratie heute in etwa so wirkt wie der Eifer eines mäßig begabten Schülers, der sich dringend beim Lehrer, nämlich der Ökonomie und ihren Vertretern, beliebt machen will.

Den politischen Liberalismus indessen hat eine neue, neoliberalistische Idee von Freiheit verdrängt, die man in den USA etwa libertarian nennt. Die „negative Freiheit“ des „Du kannst es schaffen, und heul nicht rum, wenn du zu den 95 Prozent gehörst, die es nicht tun“. Die vollendete Mischung aus bigottem Konformismus, Hass auf alles Sozialstaatliche und ökonomischer Brutalität.

Nazi-Organisationen und Spaßparteien

Und welche Transformationen nahmen jene Parteien vor, die einst den politischen Liberalismus zu vertreten hatten! Einige wandelten sich gleich in Halb- oder Dreiviertel-Nazi-Organisationen, wurden von „Nationalliberalen“ zu „Feschisten“ (wie in Österreich), andere wollten zwischenzeitlich „Spaßparteien“ werden, und nun will die F.D.P. sogar ihre Farben wechseln, tolle Sache.

Die Linken haben vielleicht ihre politische Heimat verloren, das steht so in den mittleren Erzählungen der europäischen Nachkriegsgeschichte. Aber verglichen mit den politischen Liberalen ging dieser Heimatverlust geradezu sanft vor sich. Der politische Liberalismus, der, angesichts seiner Väter und Mütter, von Locke und Montesquieu bis hin zu Hamm-Brücher sich so nennen dürfte, hat in Deutschland nicht einmal mehr eine publizistische Stimme, geschweige denn eine Organisation.

Es scheint also so leicht zu sein, sich höchstpersönlich für einen liberalen Menschen zu halten, wie es schwer ist, oder sagen wir gleich: unmöglich, die Ideale und Ziele des politischen Liberalismus gesellschaftlich, diskursiv und politisch durchzusetzen.

Postdemokratischer Sumpf

Zur gleichen Zeit aber, da der politische Liberalismus, der hier ohnehin nie eine wirklich dominante Rolle hatte spielen können, weil er entweder vom autoritären Konservatismus oder aber vom wirtschaftsliberalen Opportunismus erdrückt wurde, in den Sümpfen der Postdemokratie versinkt, scheint die einzige Hoffnung des Einzelnen, der sich weder nach rechts noch nach links aus „seiner“ Demokratie verdrängen lassen möchte, eben diese zu sein: ein Liberaler sein.

Einer, der die Freiheit des Subjekts hochhält, der auf die Beschränkung von Macht drängt, der Toleranz nicht gewähren muss, weil sie für ihn selbstverständlich ist, der Rechtssicherheit und Transparenz immer noch wichtiger nimmt als Wettbewerbsvorteile, der es zugleich mit einem staatlichen Gewaltmonopol und mit seiner umfassenden demokratischen Kontrolle ernst meint, der Information, Bildung und Wissenschaft als hehre Ziele sieht, einer der auch im ganz alltäglichen Leben auf die Tugenden und Werte dieses Liberalismus vertraut.

Der Haken an der Geschichte ist nur: In einer postdemokratischen, finanzkapitalistischen Gesellschaft hört der Liberalismus schon bei der Privatsphäre des Subjekts auf. Da zerbricht etwas. In einen entpolitisierten Liberalismus. Und in eine entliberalisierte Politik.

Linke und Liberale

Der größte Trick in diesem Prozess, sich vom politischen Liberalismus und von einer kritischen Linken gleichzeitig zu befreien, liegt darin, die beiden gegeneinander auszuspielen. So haben wir es oft genug mit „überzeugten“ politischen Liberalen zu tun, die ihren Liberalismus durch die Abgrenzung gegen die Linken erklären, anstatt ihn an den politischen, ökonomischen und kulturellen Praxen ihrer Regierungen, ihrer Medien, ihrer politischen Diskurse zu messen.

Natürlich gibt es auch eine dezidierte Abgrenzung der Linken gegen den politischen Liberalismus, der ja nur sehr schwer zu denken ist ohne den Wirtschaftsliberalismus, auf den sich Neoliberalismus und Finanzkapitalismus zu Recht oder zu Unrecht berufen. Die Idee eines reformerischen, kritischen und nach beiden Seiten hin „undogmatischen“ Linksliberalismus, die uns das eine oder andere Jahrzehnt kleine Hoffnungen auf eine Vermenschlichung der Welt und eine Entspannung der Debatten gemacht hat, scheint mausetot. Woran ist sie gestorben?

Nein, nicht gleich antworten. Da finge es ja vielleicht an, mit einer möglichen Renaissance des politischen Liberalismus. Dass man sich ein bisschen Zeit nimmt, zum Nachdenken über sich selbst und über die Welt, und wie sie sich durch Macht und Gegenmacht, Diskurs und Gegendiskurs organisiert.

2015 wäre vielleicht ein gutes Jahr, zu erkennen, dass Liberale und Linke gemeinsame Interessen haben, dass ihnen eine gemeinsame Empörung zuwachsen müsste über das, was aus den Projekten Demokratie, Bürgerrecht, Freiheit und Gerechtigkeit geworden ist, dass Liberale und Linke von den gleichen Kräften zum Aussterben gebracht werden sollen und von den gleichen Medien zum Verschwinden. Streiten können wir uns später immer noch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • An der libelalistischen Theologie wundern mich, dass einerseits stets die "Freiheit des Individuums von Fremdbestimmung" gepredigt wir, die Entfremdung wirklicher Individuen von den sozio-ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen ihrer Freiheit aber nichts wissen wollen.

  • Die Zukunft des linken Liberalismus in Deutschland ist die Partei Neue Liberale. Es lohnt sich jedenfalls, darauf zu setzen und mitzuarbeiten, wenn man sich für links und liberal gleichermaßen hält. Ob das Projekt Neue Liberale dann hält, was es (noch) verspricht, wird man sehen, aber es wäre noch einmal eine Chance für den aufgeklärten, gemäßigten und sozialen Liberalismus in Deutschland.

  • Der linke politische Liberalismus, der immer für Emanzipazion im umfassenden Sinn als Freiheit des Individuums von Fremdbestimmung, sei es durch Staatsmacht oder Kapital und für soziale Gerechtigkeit gestritten hat, ist notwendiger denn je. Es gibt auch politische Akteure, die meist Jungdemokraten der 70er und 80er Jahre waren, die in SPD, Grünen und Linken aktiv sind oder in Verbänden wie dem ADFC oder Amnesty, Bürgerrechtsorganisationen wie der Humanistischen Union oder Digitalcourage - es fehlt eine mediale Plattform. Das ist nicht schlimm, denn Kennzeichen des linken Liberalismus oder der Radikaldemokraten war seit der Linken der Paulskirche (Friedrich Hecker) die Zersplitterung: Selbst die wenigen Weimarer Jungdemokraten zerlegten sich ab 1930 noch in DDP, Staatspartei und Radikaldemokratische Partei. Linksliberale waren erfolgreich, solange sie einen Kompromiss mit den Wirtschaftsliberalen zu fairen Bedingungen eingingen - der Kompromiss zwischen der "Linken" in der F.D.P. Karl-Herrmann Flachs von 1971 und den Lambsdorffs hielt nur so lange, wie die Linken die Hegemonie hatten gerade mal 10 Jahre, bis Genscher, Möllemann und co. der Meinung waren, dass Wirtschafts- und Nationalliberale - gibt es in der NRW-FDP wieder - historisch allein klarkommen würden. DAS waren und sind die Totengräber des Liberalismus. Dass die intellektuelle Substanz der JuLis nicht ausreichen würde, um aus dieser Partei noch einmal irgend etwas anderes als die Mehrheitsbeschaffer der CDU und neoliberalen Ideologen werden zu lassen, war schon 1983 bei der "Wende" zu erahnen. Das Buch von Karl-Hermann Flach 1970 hieß nämlich "Noch EINE Chance für die Liberalen". Die hat die FDP vergeigt und die Naumann-Stiftung auch, seit sie auch von den Rechten übernommen wurde. Wer weiss was aus den "Neuen Liberalen" - gehen sie den selben Weg wie die "Liberalen Demokraten"? Schaunmermal.

    • @Appel Roland:

      Nicht verzagen ! Ha'mses mitbekommen : das Kapital kümmert sich liebevoll um das versprengte außerparlamentarische Häuflein - mit dicken Spenden . Die Wiedergeburt einer Art Herrmann-Flach-FDP liegt dem Großen Geld aber sicher nicht im Sinn .

  • armchair thinking , Herr Seesslen , hochoben in Wolkenkuckkucksheim über der "Insel" Schland , Gesellschaftstheorie auf Feuilletonistisch , ungefährlich wie folgenlos . Aber zweifellos gut passend zur allgemeinen Weigerung , aus der selbstverschuldeten Unwissenheit herauszutreten .

  • Seltsam . Der Autor scheint die Krise des Kapitalismus' , die nun schon ins sechste Jahr geht , vollständig aus seinen Demokratie nostaligischen Überlegungen ausblenden zu können . Er realisiert zwar , dass keiner seiner "drei Hauptfeiler der Demokratie" - „Konservatismus“, Sozialdemokratie , Liberalismus - noch hinlänglich klare Konturen aufweist , kommt aber nicht zu dem Punkt zu analysieren , warum das so gekommen ist . Politik allgemein hat sich nämlich - nicht nur in D - auf bloße Krisenverwaltung verengt , das Parteienspektrum auf "sozialdemokratie" am Krankenbett des Kapitalismus . Politik sozusagen als palliative Therapie von heute auf morgen , das Ende bestenfalls : offen .

    Und die Rolle des wirtschaftlichen Liberalismus' heute ? Zombie . Ableben nach Verordnung der "Rettungspakete" seit Ende 2008 . Und poliisch "liberal" haben sich alle Parteien auch schon lange genannt .

  • Wiederhol`s gern -

    Nur wo Seeßlen draufsteht ist auch

    Seeßlen drin - danke.

     

    Der alte Trapper hat natürlich

    #ne dialektische Falle -

    sogar mit Warnschild - aufgestellt -

    Muster: Sorry ich weiß es auch nicht -besser!

    Aber die Anhänger der Fazion -

    König MidasSchirrmacher -

    Tapptrapp un däh - auch fein.

     

    Das Feld öffnen -

    iSv Lassen wir das Ausspielen der unhinterschreitbaren Trias -

    Liberte Fraternite Egalite -

    - Insonderheit der letzteren beiden -

    in ihren geistigen wie politischen Manifestationen nicht mehr zu

    bzw wie kann es gelingen -

    hier jetzt bald in absehbarer Zeit -

    ausgleichend-befruchtende

    geistige wie politische Konstrukte zu bilden und breit angelegt zu leben

    und wirksam werden zu lassen.

     

    Na - Wenn das kein Neujahrsgruß ist - dann weiß ich es auch nicht.

  • Auch wenn ich Georg Sesslen für einen ausgezeichneten Publizisten halte, dieser Artikel aber ist meines Erachtens sehr, sehr oberflächlich und reduziert sich letzten Endes auf die Hoffnung, die politischen Wünsche des Autors mögen in Erfüllung gehen, und es möge zu einer Neuauflage der sozial-liberalen Koalition der späten 60er und 70er Jahre kommen. Georg Sesslen sieht diese quasi-natürliche Koalition von Linken (worunter er wohl die Sozialdemokratie versteht) und Liberalen zwar nicht parteipolitisch verengt, kann aber auch nicht bestimmen, welchem Zweck diese Liaison dienen sollte.

     

    Das ist deshalb nicht verwunderlich, weil der Autor sich keinerlei Gedanken darüber macht, wie denn der Niedergang des Liberalismus in den letzten Jahren zu erklären ist. Ebensowenig scheint er sich im klaren über den Charakter der Sozialdemokratie der Schröder-Fischer-Regierung und der Nach-Schröder-Ära zu sein. Es ist hinlänglich erläutert worden, dass die rot-grüne Regierung mit den Arbeitsmarktreformen (Hartz I-IV) de facto ein neoliberale Politik durchgesetzt hat, die Franz Müntefering auf den Begriff brachte: Die Arbeitsmarktreformen, so Müntefering, sollten Deutschland fit machen für die Herausforderungen des globalisierten Wettbewerbs im 21. Jahrhundert. Wer die Zeche für diese Unterwerfung der Politik unter die Imperative der Kapitalrentabilität zu zahlen hatte, war von vornherein klar, auch wenn die SPD nach Schröder bemüht war, diese Logik mit allerlei Kosmetik aufzuhübschen. So gesehen sind zeitgenössische Liberale und Linke (im Sinne Sesslens) in der Tat natürliche Verbündete, da die klassische Programmatik 'der Linken', die zerstörerischen Tendenzen dieser Produktionsweise durch Sozialreform und politische Partizipation so grünlich wie nur was gescheitert ist.

  • Ganz toller Artikel, natürlich Seeßlen.

    Exakte Diagnose: die Linken jammern, und der Liberalismus liegt im Grab. Wer also hat es schwerer?!

    Ich denke, der Liberalismus muss eine nationale Ausprägung finden, damit er Profil gewinnt. Er ist kein Debatten-Sieger. Er bevorzugt die graue Kunst der Abwägung, das klare Denken. Das ist den Linken viiiiiel zu intellektuell, man höre und staune. Ein Revival halte ich nicht für ausgeschlossen, aber im Moment ist Volkstrauertag. Schade um diese politische Fraktion...

  • Danke, Georg Seeßlen - Linke und Liberale zusammen, ein verlockender Gedanke. Allerdings denke ich da an jene Liberalen, die ebenos wie die Linken ihre Wurzeln im 18. Jahrhundert der Aufklärung, der Menschenrechte und der bürgerlichen Revolution hatten. Gibt es solche Liberale überhaupt noch???

  • Die Tazehance, einen wirklich großen und lange schon überfälligen Artikel zu schreiben:

    Was bitte ist denn aus den Projekten Demokratie, Bürgerrecht, Freiheit und Gerechtigkeit geworden - und warum wurde das bislang von der Freien Presse, dem nächsten gescheiterten Projekt, nicht thematisiert?

  • Vielleicht brauchen wir aber auch einen kommunistischen Liberalismus, ein Miteinander auf Grundlage individueller Kompetenzen zur weltgemeinschaftlichen Mitgestaltung usw. ;-)

  • Man darf allerdings nicht vergessen, daß der Liberalismus im positiven Sinne, von dem der Artikel handelt, zumindest in Deutschland seit Jahren und Jahren von keiner Partei mehr verkörpert wird. Daß der Partei der Meistbietenden endlich die Wähler ausgehen, war überfällig. Das Ganze erinnert deutlich ans Ende von "Wetten Dass" - eine an sich gute Idee, für die sich am Ende nur noch äußerst schlichtes Personal findet. Hinterher wird die Idee für überholt erklärt, und Schuld hatte keiner. Neuer Deutscher Dilettantismus, wohin man schaut.

    • @Rob:

      …auch gebongt -

       

      aber - kommt wieder runter vom Balkon

      - …mehr sagt Georg Seeßlen doch auch nicht -

      is - wie hier zu lesen a kommune ja schon ne Menge -

      Auch Dilletentismus wird da sein - klar

      Wieso denn auch nicht -

      Notstands-No/Friedens- /AKW-Bewegung - ' remember? - ok - So What!

      Ge-nau*~*