: Schlag in den Nacken
■ Der Überlebensbericht des südafrikanischen Anwalts Sachs
Albie Sachs will joggen gehen am Strand von Maputo in Mosambik. Er packt sich ein kühles Bier ein, betrachtet eine riesige afrikanische zehnköpfige Skulptur an jenem 7. April 1988, bevor er die Wohnungstür schließt. Als Albie Sachs die Wagentür öffnet, wird es plötzlich dunkel, er spürt einen Schlag in den Nacken, Hände greifen ihn, er wehrt sich.
Im Krankenhaus erwacht er mit einem großartigen Gefühl von Glück und Neugier. Sie haben ihn umbringen wollen, die Schergen des südafrikanischen Geheimdienstes, aber er hat durch die Autobombe „zum Glück nur einen Arm verloren“; mit ihm den Mittelfinger mit der Schwiele von seinem Füllfederhalter — „meine Antwort auf die Schwielen an den Händen der Arbeiter“. Aber er hat auch vier Rippen gebrochen, unzählige Auto- und Bombenpartikel stecken in seinem Körper, die rechte Ferse ist zersplittert, und er hat die Sehkraft des linken Auges eingebüßt.
Und trotzdem: Albie Sachs freut sich seines Lebens, genießt die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird — zuerst im Krankenhaus von Maputo, dann in London. Er möchte fühlen, Zärtlichkeit spüren, und er beschreibt in seinem Überlebensbericht, wie ungeheuer stolz er sich fühlt, als er zum ersten Mal das Bett zum Klogang verlassen kann, wie er mit sich kämpft und den Triumph, den er verspürt, als er es alleine geschafft hat. Er erzählt, wie er sich auf das erste Bad freut, das warme Wasser, die Phantasien, denen er in der Wanne frönen kann. Doch er verliert das Gleichgewicht, ertrinkt fast, kann sich nur mit Mühe fangen. Geknickt und traurig verläßt er das Bad.
Albie Sachs ist nicht gewillt, in die Rolle des Opfers zu schlüpfen. Er wußte von den Risiken, die er als weißer Anwalt und Sproß aus gutbürgerlicher jüdischer Familie einging, als er sich dem südafrikanischen Befreiungskampf verschrieb — und nahm sie in Kauf. Das war auch schon 1963 so, als die südafrikanische Justiz ihn in Isolationshaft steckte, um von ihm Namen von Gleichgesinnten zu erfahren. 168 Tage saß er im Gefängnis. Der Gedanke an ein Theaterstück oder Wortspiele wie „von Jail zu Free in sieben Schritten“ gaben ihm die Kraft, in den Verhören standzuhalten.
„Die Bombe hat meinen Lebensplan durcheinandergeworfen“, schreibt er, als habe er gerade mal den Zug verpaßt. Um dann gleich darin einen Vorteil zu sehen, nämlich mit dem Leben noch einmal von vorne anfangen zu dürfen. Sich jetzt mit einem mittelmäßigen und belanglosen Leben zufrieden zu geben, ist seine Sache nicht. „Dann weiß ich, daß ich tot bin.“ Welcher Anwalt hat schon das große Glück, am Kampf für ein neues politisches System teilnehmen und gleichzeitig die sich aus dem Kampf ergebende neue Verfassung mitgestalten zu dürfen? Für dieses Ziel lohnt es zu leben, lohnt es, seinen Körper zur Eile bei der Genesung anzutreiben.
Es ist dies Teil seiner Art von Rache. Eben nicht die von Auge um Auge, Zahn um Zahn. Vielmehr besteht sie darin, mit Kampfeswillen die eigenen Ziele, nämlich die Rückkehr in ein politisch verändertes Südafrika unbeirrt fortzusetzen. Als Sachs den Namen des mutmaßlichen Bombenlegers erfährt, es ist ein dreißigjähriger schwarzer Angolaner, hofft er auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Und sollten die Beweise nicht für seine Verurteilung ausreichen, wünscht er dessen Freilassung, weil dies für die Entwicklung eines starken Rechtssystems in Mosambik so ungeheuer wichtig sei.
Nicht einmal zwei Jahre, nachdem die Bombe explodiert war, ist Albie Sachs zurück in Maputo. Es ist diese kraftvolle und unbändig lebensfreudige Sichtweise, die in jeder Zeile seines Buches steckt. Michael Netzhammer
Albie Sachs, Sanfte Rache . Luchterhand Literaturverlag, Hamburg/Zürich 1991, 231 Seiten, 34 Mark.
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