piwik no script img

Schimpfwörter in der GeschichteMit dem Schimpfen begann die Kultur

Kommentar von Falko Hennig

Von „Übelkrähe“ bis „Elpentrötsch“: Für das psychische Wohlbefinden ist Schimpfen so unverzichtbar wie für das körperliche die Verdauung.

„Arrghh“ – zweifelslos war Schimpfen noch vor dem Nachahmen von Tierlauten Foto: Gerhard Kraus/imago

D ie Urform der menschlichen Sprache, das können wir heutzutage mit Sicherheit und auch dank ihrer Entwicklung sagen, reicht mindestens 1,8 Millionen Jahre zurück. Doch noch bevor die Urmenschen Tierlaute nachgeahmt haben und so den „Uhu“, den „Wauwau“ und den „Kuckuck“ erschufen, entwichen ihnen Empfindungslaute des Schmerzes, der Wut und der Aggression. Das erste Wort, das jemals ein Mensch ausgestoßen hat, war deshalb zweifellos ein „Arrrrrgh!“ oder „Pshaw!“, in der Gegenwart auch bekannt als „Cazzo!“, „Fuck!“ oder „Scheiße!“.

Die menschliche Sprache begann also mit einem kräftigen Schimpfwort. Und die Kultur setzte ein, als sich zum ersten Mal zwei Kontrahenten mit originellen Schimpfwörtern anblafften, anstatt sich Steine auf die Köpfe zu schlagen.

Seit Erfindung der Schrift wurde dann nicht mehr nur mündlich, sondern auch schriftlich geflucht. Wo sie sich erhalten haben und man sie entziffern kann, findet man Beschimpfungen als gemeißelte Hieroglyphen, auf Papyrus und Papier, bei den alten Ägyptern und Griechen, Chinesen und Inkas. Noch nirgends wurde eine Primitiv- oder Hochkultur entdeckt, die auf Beschimpfungen und Flüche verzichtet hätte.

Schon im Alten Testament wird in den sogenannten „Fluchpsalmen“ mit blutigem Ernst geschimpft: „Die Gottlosen sind verkeret von Mutter leib an / Die Lügner jrren von Mutter leib an. / Jr wüten ist gleich wie das wüten einer Schlangen / Wie eine taub Otter / die jr ohr zustopfft.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Römer erfanden für Beschimpfungen eine eigene Literaturgattung, die Satiren, die mit heutigen satirischen Schriften nur den Namen gemein haben. Ihr Schöpfer Gaius Lucilius beschimpfte Persönlichkeiten und gesellschaftliche Missstände, scherzhaft und angriffslustig.

Buhlknabe und Hurenbock

Im ältesten Gesetzbuch, der „Lex Salica“ der salischen Franken aus dem 6. Jahrhundert, ist in einem Kapitel „De conviciis“, also von Schimpfworten die Rede: „Wenn einer ein freies Weib, sei’s Mann oder Weib, eine andere Hure schilt und es nicht nachweisen kann, werde er zu 1800 Pfennigen, gleich 45 Schillingen, verurteilt.“ Zum Vergleich: Es kostete nur 600 Pfennige, jemanden als Buhlknabe oder Hurenbock zu beschimpfen.

Ein großer Meister der ernsthaften Schimpfkunst war Martin Luther, der auch die Fluchpsalmen in der Bibel übersetzte, vermutlich mit verdammt großem Vergnügen. Für manche ist er deshalb ein Sprachferkel, dabei verdanken wir ihm wunderbare Schimpfwörter wie „Memme“, „Hanswurst“ oder „Grobian“ und kräftige, bezaubernde Redewendungen, unter anderem „Hummeln im Arsch“ und „Ihr sollt eure Perlen nicht vor die Säue werfen“.

Seiner Wichtigkeit und Sprachkraft war er sich bewusst, denn er schrieb: „Wenn ich einen Furz lasse, soll man es bis Rom riechen.“ Seine gute Laune verlor er trotz Schimpfkanonaden dennoch nie, denn „aus einem verzagten Arsch fährt kein fröhlicher Furz“.

Der Autor und sein Buch

Falko Hennig, geboren 1969 in Berlin, ist seit 1995 Mitglied der Reform- und Lesebühne Heim und Welt. Sein aktuelles Buch „Schimpfwörtersammelsurium – Buch der schmutzigen Wörter“ ist im Omnino Verlag erschienen.

Mit der Demokratie wurde das Schimpfen schließlich zur Staatsform erhoben. Nicht, weil Diktatoren, Kaiser und Könige weniger schimpfen als Volksvertreter, sondern weil die Konflikte eher mittels Debatten und Diskussionen ausgetragen werden und nicht durch Massenmorde und Kriege. Demokratische Schimpftiraden können beeindruckend langweilig sein oder sehr unterhaltsam. Und jede Demokratie hat ihre Meister im Schimpfen hervorgebracht.

Herbert Wehner von der SPD war etwa der Schimpfkönig des westdeutschen Parlaments. Wehner hatte sich schon in der Weimarer Republik über ein Dutzend Ordnungsrufe eingehandelt, im Bundestag waren es nicht weniger als 77. Zum Erfolg einer guten Beschimpfung gehört der Moment der Überraschung. So rief Wehner dem CDU-Abgeordneten Möller während dessen Parlamentsrede zu: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“

Jürgen Todenhöfer von der CDU war für Wehner ein „Hodentöter“ und Schneider ein „Ehrab-Schneider“. 1970 verblüffte er seinen Gegner Jürgen Wohlrabe von der CDU mit: „Sie sind eine Übelkrähe!“ und kurz danach mit: „Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“

Lackschuh-Panther und Möchtegern-Schimanski

Zu den relativ originellen, im Bundestag verwendeten Schimpfwörtern seit 1949 gehören in alphabetischer Ordnung: Beamtenkuh, Dampfnudel, Dösbaddel, Dröhnbüdel, Eiertänzer, Erpressungsminister, Frühstücksverleumder, Generalschwätzer, Gruselkomiker, Harzer Roller, Knallfrosch, Lackschuh-Panther, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Naziflegel, Ochsenfrosch, Obertünnes, Petersilien-Guru, Pistolero, Pöbelkönig, Putzlumpen, Ratte, Rotzjunge, Sumpfblüte, Wollüstling, Wrack, Wühlratte und Zuhälter.

Mein persönliches Lieblingsschimpfwort ist allerdings „Elpentrötsch“. Damit war ursprünglich ein linkischer und einfältiger Mensch gemeint, der ein Opfer der Elfen oder der Geister der Elbe geworden ist. Heute kann man „Elpentrötsch“ wunderbar anstelle von „Idiot!“ verwenden und wird nicht einmal wegen Beleidigung belangt, weil niemand das Wort kennt.

Schimpfen ist und macht kreativ. Für das psychische Wohlbefinden ist es so unverzichtbar wie für das körperliche die Verdauung, einschließlich Flatulenz. Wir schützen uns damit vor Stress, bauen Spannungen ab und erlangen unser Gleichgewicht zurück.

Das wird auch in ferner Zukunft noch der Fall sein. Wann der letzte Mensch leben wird, ist offen, aber auch bei größtem Optimismus wird es in ­spätestens drei Milliarden Jahren so weit sein. Wenn unser ganzes Sonnensystem heißläuft, braucht sich der letzte Mensch jedenfalls keine Sorgen mehr um die Nachwelt zu machen. Und er muss sich für sein letztes Wort keinen Zwang auferlegen.

Denn niemand wird mehr berichten können, dass er im Angesicht der Ausdehnung der Sonne nicht um „Mehr Licht!“ gebeten haben wird. Der letzte Laut wird eine Symptominterjektion sein, also ein Empfindungswort. Das Schimpfwort wird verblüffend ähnlich klingen wie das erste Wort der Menschheit.

Und ist der letzte Mensch Deutscher, wird er „Scheiße!“ sagen.

Mit der Demokratie wurde das Schimpfen schließlich zur Staatsform erhoben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Sehr schoen, die Spirale.

    • @Uhl Christian:

      Ja & Füge - “Ölprinz“ Barzel & “Sie Düffeldoffel da!“ Dr. 🥬 & “Kopf&GliedabJaeger“ bei. Mit Verlaub.