Schillernde Uniwelt: Die Doktorin und die faule Sau
"Kapitalistenschwein", "Drecksau" oder doch lieber "Schwein gehabt"? Die Sprachwissenschaftlerin Dagmar Schmauks an der TU erforscht die Darstellung des Nutztiers in Medien und Redensarten.
Dagmar Schmauks Büroraum hat eigentlich gar nichts Auffälliges an sich. Schreibtisch und Computer auf der einen, ein reichlich bestücktes Bücherregal auf der anderen Seite. Dort reihen sich Wörterbücher, Lexika und voll bepackte Aktenordner aneinander - nicht untypisch für eine Sprachwissenschaftlerin.
Berlin ist die deutsche Hauptstadt der Wissenschaft: 4 Universitäten, 4 Kunsthochschulen, 4 Fachhochschulen, 12 Privathochschulen und etwa 140.000 Studierende. Dahinter verbergen sich viel Potenzial, viel Kreativität - und jede Menge schillernde, absonderliche oder skurrile Ideen. Die taz stellt in loser Folge einige Wissenschaftler und ihre Forschungsgegenstände vor. Diese Experten zeichnet das aus, was Wissenschaft eigentlich ausmacht: unbändige Neugier für das Abseitige und Neue. TAZ
Ein Aktenordner fällt sofort ins Auge: "Schwein" steht in großen Lettern auf dem Ordnerrücken. Die Akte ist prall gefüllt mit Schweinegeschichten, Schweinecomics, Schweinezeichnungen und Schweineschlagzeilen aus Zeitungen, alles fein säuberlich ausgeschnitten und in Klarsichthüllen eingetütet. Denn Dagmar Schmauks, an der Technischen Universität angestellte Professorin für Semiotik, also die Lehre von den Zeichen und Zeichensystemen, erforscht, wie das Tier mit dem Ringelschwanz in der deutschen Sprache dargestellt wird. "Ich sammle viel und schreibe auf, was mir auffällt", erklärt die Wissenschaftlerin. Oft suche sie sich aber auch Ratschlag von außerhalb, im Deutschen Schweinemuseum in Treptow oder im Museumsdorf Düppel.
Bereits in ihrer Kindheit sei sie auf das Schwein aufmerksam geworden, erzählt die 58-Jährige. Bei einem Ausflug zum Bauernhof hätte sie ein neugeborenes Ferkel auf den Arm nehmen dürfen. "Das war wohl mein Schlüsselerlebnis." Von da an gab es für Schmauks kein Halten mehr: "Wenn ich in den Medien irgendetwas entdecke, was irgendwie mit Schweinen zu tun hat, sei es nun Werbung, ein Cartoon oder ein Artikel - ich schneide es aus."
Allerdings, so betont die Wissenschaftlerin, sei das Schwein ihr "privates Hobby" und kein offizielles Forschungsprojekt. "Manchmal beziehe ich das Schwein aber dennoch in meine Vorlesungen ein - etwa wenn es um Redewendungen geht, in denen Tiere vorkommen." Genau das scheint die Professorin am meisten zu interessieren. Eifrig zählt sie schweinische Metaphern auf wie "Glücksschwein", "Drecksau", "Schwein gehabt". Sie zitiert aus Zeitungsartikeln, in denen "Kapitalistenschweine" den Finanzmarkt ruinieren, verweist auf Werbung, in der ein Schweinerüssel als Steckdose günstige Strompreise verspricht. "Es ist doch spannend, dass ausgerechnet das Schwein für so viele Dinge herhalten muss, oder?"
Natürlich hat Schmauks auch eine Antwort auf die Frage parat, warum das Schwein in der deutschen Sprachenwelt so präsent ist: "Schweine sind dem Menschen eben sehr ähnlich", behauptet sie. Außerdem diene das Schwein dem Menschen als Projektionsfläche seiner Sehnsüchte. Dabei verweist die Professorin auf die Redensart der "faulen Sau".
"Im Grunde würde der Mensch auch gerne, im übertragenen Sinne, faul wie die Sau draußen in der Sonne liegen und sich im Schlamm suhlen, anstatt beruflichen Pflichten unterworfen zu sein", sagt sie. Und wer träume wohl nicht davon, "einmal so richtig die Sau rauszulassen", sprich soziale Konventionen zu vergessen, genauso frei und wild handelnd wie ein Tier, inklusive sexueller Lüsternheit?
"Leider sieht die Realität der Hausschweine heute ganz anders aus", bedauert Schmauks. Künstliche Besamungsstationen bescherten dem Eber kein wirklich attraktives Sexualleben, viele Säue sähen nicht ein Mal in ihrem Leben das Tageslicht. Und auch das Bild vom lachenden Schwein in der Metzgerei lenke von der Wahrheit ab. Denn für viele Menschen, so die Sprachwissenschaftlerin, habe das Tier nur einen Nutzen - geschlachtet und gegessen zu werden. Trotz Schweineliebe verweigert sich die Professorin dem Genuss eines Schnitzels aber nicht: "Doch ich kaufe das Fleisch immer im Hofladen", sagt sie. "Discounterfleisch kommt bei mir nicht auf den Tisch."
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