Schiedsrichterstreit bei Handball-WM: Verpfiffene Sportart
Bundestrainer Heiner Brand erneuert seine Schiedsrichter-Kritik: Die Deutschen würden seit Jahren benachteiligt. Skandal-Entscheidungen bringen Handball immer wieder in Verruf.
Am Tag danach konnte Heiner Brand schon wieder lächeln. Etwas verlegen zwar, aber immerhin. "Als ich die Bilder gesehen habe, war ich schon etwas erschrocken", berichtete der Trainer der deutschen Handballnationalmannschaft.
Der Gummersbacher hatte sich selbst nicht wiedererkannt in diesen Sekunden nach der Schlusssirene des Hauptrundenspiels gegen Norwegen (24:25). Wutentbrannt lief er auf die slowenischen Schiedsrichter Nenad Krstic/Peter Ljubic zu, mit erhobener rechter Faust, so als habe er vor, die erste Niederlage seines Teams bei der WM Kroatien umgehend zu rächen. "Ich verabscheue Gewalt", versicherte Brand gestern in Zadar. "Und außerdem ist in meinem Alter keine Kraft mehr in meiner rechten Geraden", fügte er ironisch hinzu. Heute kämpft der Weltmeister gegen Europameister Dänemark (17.30 Uhr, RTL) um seine letzte Halbfinalchance.
Auch die Handballer nahmen diesen Auftritt, den knapp zehn Millionen Zuschauer an den deutschen TV-Geräten verfolgten, irritiert zur Kenntnis - zumal Brand erst vor drei Monaten eine Hüftoperation über sich ergehen lassen musste. "So habe ich Heiner noch nie gesehen", meinte Torwart Johannes Bitter, "aber wie er aufgetreten ist, spiegelte das unsere Seele." Diese aufregenden letzten 14 Sekunden, als die Slowenen einen Einwurf zweimal wiederholen ließen und so die letzte Chance auf ein Remis verhinderten, waren das beherrschende Thema im Mannschaftshotel. "Man fühlt sich irgendwie um den Lohn gebracht", sagte Kreisläufer Sebastian Preiß. "Das war ganz bitter." Norwegens Torhüter Steinar Ege sah die Sache völlig anders. "Die Deutschen sollen sich nicht beschweren. Es war Einwurf, und Christian Schöne hat ihn zweimal falsch ausgeführt. Die Deutschen sind so vor zwei Jahren Weltmeister geworden", meinte der Ex-Gummersbacher.
Extrem bemerkenswert ist, dass Brand sich zwar von seinem Ausraster distanzierte, nicht aber in der Sache. Im Prinzip erneuerte er vielmehr seine grundsätzliche Kritik, dass die deutsche Mannschaft von den Schiedsrichtern benachteiligt werde. "Wenn sie ein Gewissen haben, dann ein schlechtes", so kommentierte er die Leistung der Slowenen. Er wolle zwar nicht verallgemeinern, aber Tatsache sei, "dass seit der WM in Deutschland schon eine gewisse Tendenz zu bemerken ist".
Solche Aussagen nähren Verschwörungstheorien. Das Image der Internationalen Handball-Föderation (IHF) in dieser Hinsicht war allerdings schon vor dieser WM verheerend. Was soll man halten von einem Verband, dessen ägyptischer Präsident Hassan Moustafa erst kürzlich zugeben musste, dass er persönlich Schiedsrichter eines Spiels absetzte, welches sich daraufhin zu einem der größten Skandale der Handballgeschichte entwickelte? So geschehen bei der asiatischen Olympiaqualifikation im September 2007 zwischen Kuwait und Südkorea (28:20). Kurz vor der WM hatte erst IHF-Generalsekretär Peter Mühlematter öffentlich kritisiert, Moustafa und der spanische IHF-Schatzmeister Miguel Roca hätten sich persönlich in die Schiedsrichteransetzungen beim olympischen Turnier in Peking eingemischt.
Krstic/Ljubic standen ebenfalls bereits unter Korruptionsverdacht: beim Champions-League-Halbfinalrückspiel des Jahres 2007 zwischen Valladolid und der SG Flensburg. Als damals der Flensburger Torwart Dan Beutler den letzten unberechtigten Siebenmeter hielt und so Flensburg ins Finale gegen Kiel brachte, stürmten die Flensburger nicht auf den Helden des Spiels zu, sondern sie bedrohten zunächst die beiden Slowenen, weil sie Betrug witterten. Es gibt weitere Paare bei dieser WM, die einen zweifelhaften Ruf besitzen, etwa die Polen Baum/Goralczyk. Ihnen warf Frank Birkefeld, der damalige Geschäftsführer der Internationalen Handball-Föderation (IHF), im Jahr 2007 öffentlich vor, sie hätten das Finale des olympischen Frauenturniers zugunsten der Däninnen verschoben.
Einig sind sich die Fachleute darüber, dass sich die Sportart Handball in fast allen Bereichen professionalisiert hat. Nur die Schiedsrichter führen weiterhin das Leben wie vor 20 Jahren. "Man muss dafür sorgen, dass auch dieser Bereich professioneller wird", fordert daher nicht nur Kreisläufer Sebastian Preiß. Solange aber so leicht ein Betrugsverdacht geäußert werden kann, ist die Sportart in ihrem Kern bedroht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann