: Scheuklappen für die taz-Leser
■ Berliner Landgericht verurteilt taz wegen Veröffentlichung von Bekennerschreiben / Premiere für den Paragraph 130a Bekennerschreiben künftig nur noch im Giftschrank / In der Urteilsfindung kam es auf Zielsetzung bei taz-Veröffentlichung nicht mehr an
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - taz-Leserinnen und Leser sollen künftig keine Bekennerschreiben von militanten Gruppen mehr zu Gesicht bekommen, in denen das genaue Vorgehen bei Anschlägen beschrieben wird. So verlangt es jedenfalls das Berliner Landgericht, das gestern die taz wegen der Dokumentation zweier Bekennerschreiben erstmals aufgrund des neu geschaffenen Paragraphen 130a (Anleitung zu Straftaten) zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen a 60 Mark verurteilte.
Der umstrittene Paragraph 130a, der schon während seiner parlamentarischen Beratung von vielen als „lex taz“ bezeichnet wurde, hat mit dieser Verurteilung seine makabre Premiere erlebt.
Einen Tag nach dem Inkrafttreten dieses Paragraphen aus dem Zimmermannschen „Sicherheitspaket“ hatte die taz unter der Überschrift „Wir haben Fehler gemacht“ zwei Bekennerschreiben dokumentiert, in denen sogenannte „Revolutionäre für ein feuriges Fest“ detailliert beschrieben, warum kleine, in Filmdosen deponierte chemische Brandsätze in rund 20 Hamburger Kaufhäusern nicht so funktioniert hatten, wie es geplant war.
Die Staatsanwaltschaft nutzte die Chance, den neu geschaffenen Paragraphen zu testen und erlebte in erster Instanz zunächst eine Bauchlandung.
Im Dezember letzten Jahres sprach das Berliner Amtsgericht den presserechtlich Verantwortlichen der taz, Thomas Hartmann, vom Vorwurf frei, mit der - zur guten taz -Tradition gehörenden - Veröffentlichung der Bekennerschreiben zu Straftaten angeleitet zu haben. Bei der Dokumentation der Briefe, so das Gericht damals in seinem Freispruch, sei es der taz darum gegangen, ihren Leser eine kritische Auseinandersetzung mit den Urhebern der Brandanschläge zu ermöglichen. Die taz habe sich damit nicht die politische Position der Bekennerschreiben zu eigen machen wollen.
Darauf jedoch, so urteilten die Richter der Berufungsinstanz gestern nach dreitägiger Verhandlung, komme es gar nicht an. Die Zielsetzung der taz und ihres presserechtlich Verantwortlichen sei völlig unerheblich. Man glaube dem Angeklagten sogar voll und ganz, daß er mit der Veröffentlichung gar nicht zu Straftaten (in diesem Fall leichte Brandstiftung) habe anleiten wollen.
Es sei auch egal, ob sich jemand tatsächlich durch die detaillierte Beschreibung der Brandsätze zur Fortsetzung Seite 2
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Nachahmung animiert gefühlt hätte. Die taz hätte aber wissen müssen, daß es den Schreibern der Bekennerbriefe auf eine solche Anleitung ankam. Sie hätten die Bereitschaft anderer zur Nachahmung fördern wollen und der Angeklagte habe dieses Ansinnen anderen zugänglich gemacht.
Mit dieser Begründung ging das Gericht sogar über die Anklage der Staatsanwaltschaft hinaus, die dem Angeklagten nur einen Verstoß gegen das Pressegesetz in Verbindung mit Paragraph 130a vorgeworfen hatte. Dieses Urteil, so glaubten die Richter ausdrücklich bemerken zu müssen, richte sich nicht, wie es die Verteidiger in dem Verfahren kritisiert hatten, speziell gegen die taz.
Künftig, so die Konsequenz aus diesem Urteil, das bei Beobachtern gestern allerseits Kopfschütteln auslöste, dürfen Bekennerschreiben, in denen die genaue Vorgehensweise geschildert würden, nur noch vorgekaut serviert werden oder müssen in den Giftschränken der Redaktionen verschlossen bleiben. Die taz wird gegen das Urteil Revision einlegen.
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