Scherben im Wiener Jüdischen Museum: Stark heruntergekommene Artefakte
Wien wartet mit einem Kulturskandal auf: Im Jüdischen Museum werden Hologramme zerdeppert und das Kunsthistorische Museum gibt Vermeer nicht her.
WIEN taz | Glasscherben im Jüdischen Museum in Wien und ein Nazi-Spruch gegen Kritiker bilden die Ingredienzien eines Kulturskandals. Die Probleme begannen vor etwa einem Jahr, als die ehemalige Fernsehsprecherin Danielle Spera als Direktorin des Jüdischen Museums berufen wurde. Sie kann zwar keine Managementerfahrung vorweisen, versprach aber dank ihrer Bekanntheit, dem Museum mehr Zulauf zu verschaffen.
Ihre erste Tat nach Amtsantritt im vergangenen Juli war, die lange fällige Renovierung des Hauses in der Wiener Dorotheergasse in Angriff zu nehmen. Dabei wurden im Februar 21 Hologramme, bestehend aus 2 x 3 Meter großen, mehrfach verklebten Sicherheitsglasplatten, die jüdische Persönlichkeiten, Ritualgegenstände und Synagogen zeigten, zerschlagen. Eine Restaurierung der bereits stark heruntergekommenen Artefakte wäre nicht möglich gewesen, so Spera.
Fotos eines scherbenübersäten Ausstellungsraums, über Internet verbreitet von Chefkuratorin Felicitas Heimann-Jelinek, lösten einen Sturm der Empörung aus, auch von Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München, der sich selbst um die Leitung des Hauses beworben hatte. Sogar der Vergleich mit der "Reichskristallnacht" wurde bemüht. Ein Vertreter eines deutschen Museums zog Parallelen zur Judenverbrennung von 1421.
Darauf warf Peter Menasse, der Prokurist des Hauses, den Kritikern via Facebook vor, sich den SS-Spruch "Unsere Ehre heißt Treue" zu eigen zu machen. Menasses Rücktritt und seine Einsicht, der Vorwurf sei "Blödsinn" gewesen, konnten die Wellen nicht mehr glätten. Und Danielle Speras Hinweis, bei den Hologrammen aus den 1990er Jahren handle es sich um "veraltete Technologie", diente den Kritikern als Indiz ihrer Ignoranz. Sie schätzen den Wert der dreidimensionalen Schaubilder ganz anders ein.
Für Gerald Lamprecht vom Jüdischen Zentrum der Universität Graz waren sie "Pionierarbeiten eines innovativen, reflexiven Zugangs": "Dem Betrachter eröffnete sich abhängig von seiner Position im Raum ein jeweils anderer Blick auf die wechselvolle jüdische Geschichte der Stadt Wien - von den ersten Zeugnissen der jüdischen Bevölkerung im Mittelalter bis zur Schoah".
Keine Vermeer-Rückgabe
Als Versöhnungsgeste will Spera nun ein unversehrtes zweites Set von Hologrammen nach der Wiedereröffnung eine Zeit lang ausstellen. Bis dahin wird sie ein neues Team finden müssen, denn außer Prokurist Menasse sind ihr zwei Kuratoren im Laufe der Affäre abhanden gekommen. Und zur Chefkuratorin, die die Fotos ins Netz gestellt hat, dürfte das Vertrauen erschüttert sein.
Dem Wiener Kunsthistorischen Museum dürfte hingegen ein anderer schwerer Verlust erspart bleiben. Am 19. März empfahl der Kunstrückgabebeirat nach langer Prüfung, dem Begehren der Erben des früheren Besitzers Jaromir Czernin auf Restitution des Bildes "Die Malkunst" von Jan Vermeer van Delft nicht stattzugeben. Das um 1668 entstandene Meisterwerk des Niederländers war 1940 für 1,65 Millionen Reichsmark von Adolf Hitler für sein Führermuseum erworben worden und fiel nach dem Krieg an die Republik.
Der Beirat befand, dass "eine politische Verfolgung nicht belegbar" sei und Czernin ohne Zwang verkauft habe. US-Anwalt Randol Schoenberg, der eine Erbin in den USA mit umstrittenen Ansprüchen vertritt, tobte. Das sei "die Fortsetzung der Nazipraxis euphemistischer öffentlicher Lüge". Konzilianter zeigte sich KHM-Generaldirektorin Sabine Haag gegenüber den alten Forderungen Mexikos nach der Herausgabe des "Penacho", einer altmexikanischen Federkrone.
Strittig ist in dem Fall nicht die Provenienz. Der 500 Jahre alte Priester-Kopfschmuck aus Quetzalfedern, der im Wiener Völkerkundemuseum lange als "Federschmuck des Montezuma" ausgestellt wurde, ist seit dem 16. Jahrhundert in verschiedenen Adelssammlungen dokumentiert. Die Mexikaner, die in ihrem Museo National de Antropología nur eine Kopie ausstellen, waren mit ihrem Begehren, das als Kulturerbe beanspruchte Stück zurückzubekommen, in Wien stets abgeblitzt.
Dann enthüllte Haag zu Jahresbeginn überraschend einen Deal mit Mexiko, wonach der "Penacho" als langfristige "Leihgabe" nach Mexiko gehen sollte. Im Gegenzug würde die Kutsche des Habsburgerkaisers Maximilian von Mexiko der Wiener Wagenburg zur Verfügung gestellt. Inzwischen haben aber nicht nur die Restauratoren Bedenken angemeldet: die wertvolle Federkrone könnte die Überstellung nicht verkraften.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“