Schengen-Vertrag soll überprüft werden: Gemeinsam gegen die Flüchtlinge
Berlusconi und Sarkozy stritten lange über den Umgang mit Flüchtlingen. Jetzt sind sie sich einig und fordern von der EU die Überprüfung des Schengen-Abkommens.
ROM taz | "Immer wieder eine Freude" sei es ihm, nach Italien zu Besuch zu kommen, erzählte ein gut gelaunter Nicolas Sarkozy am Montagmittag auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Silvio Berlusconi, direkt nach dem italienisch-französischen Gipfel in Rom. In der Tat hätte es kaum besser laufen können für den französischen Staatspräsidenten: In einem Blitzgipfel von nicht einmal 90 Minuten erreichte er, dass Italien beginnend beim Umgang mit den Flüchtlingen in allen entscheidenden Punkten seinen Dissens zu Frankreich aufgab.
"Seit Jahren nicht so schlecht wie in den letzten Wochen": Dies war noch im unmittelbaren Vorfeld des Gipfels der Befund der italienischen Medien über die Beziehungen zwischen Rom und Paris. Für mächtigen Ärger hatte vor allem der italienische Umgang mit den gut 22.000 tunesischen Bootsflüchtlingen gesorgt, die von Januar bis April auf Lampedusa eingetroffen waren. Italien hatte die bis zum 5. April Angekommenen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen sowie EU-weit gültigen Reisedokumenten ausgestattet – in der ziemlich offen ausgesprochenen Hoffnung, die meisten würden sich Richtung Frankreich aufmachen.
Paris hatte dies seinerseits als Bruch des Schengen-Abkommens gebrandmarkt, hatte intensive Kontrollen an der Grenze zu Italien angeordnet und vor zehn Tagen für mehrere Stunden den Zugverkehr von Ventimiglia über die Grenze komplett gestoppt. Italien seinerseits beschuldigte daraufhin Frankreich, es habe mit dieser Maßnahme das Schengener Abkommen gebrochen.
Wiedereinführung der Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums
Nun einigten sich Berlusconi und Sarkozy darauf, sich gemeinsam an die EU zu wenden, mit dem Antrag, über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums "in außerordentlichen Fällen" wie zum Beispiel einem massiven Flüchtlingszustrom zu beraten - genau dies wünscht sich Frankreich. Und als reiche das noch nicht, legte Berlusconi auf der Pressekonferenz noch mit Zahlen nach, die die bisherige italienische Haltung endgültig in ein schlechtes Licht rücken mussten: "Fünfmal so viele Flüchtlinge wie Italien" nehme Frankreich jedes Jahr auf, erklärte er, deshalb gebe es "unsererseits keinerlei Willen, Frankreich anzuklagen".
Im Gegenzug darf Rom sich darüber freuen, dass Frankreich ebenfalls der Meinung ist, bei der Aufnahme von Flüchtlingen müsse "absolute europäische Solidarität herrschen". Die beiden Staatenlenker wollen jetzt einen Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Manuel Barroso schreiben, um ein verstärktes Engagement der EU in Nordafrika anzuregen - mit dem Ziel, die Massenflucht von dort zu verhindern. Berlusconi durfte so ein Zugeständnis Sarkozys verbuchen, das den Franzosen nichts kostet.
Von substanzieller Bedeutung war für Italien allein Sarkozys Zusage, bei der Neuwahl des EZB-Präsidenten den italienischen Kandidaten, den Gouverneur der Banca dItalia, Mario Draghi, zu unterstützen. Ansonsten galt auch für die wirtschaftspolitischen Konflikte, dass Frankreich keinen Millimeter seiner Positionen preisgab. Für italienische Verstimmung hatte in den vergangenen Monaten die Offensive französischer Großkonzerne südlich der Alpen gesorgt: So wenig Paris die Reisefreiheit tunesischer Flüchtlinge schätzt, so viel ist ihm an der Bewegungsfreiheit der eignen Konzerne in Europa gelegen.
So übernahm erst vor wenigen Wochen die Luxus-Holding LVMH Bulgari, so ist der französische Stromerzeuger EDF dabei, sich in der italienischen Edison zum Alleinherrscher aufzuschwingen, und so treibt der französische Milchkonzern Lactalis die Übernahme der italienischen Parmalat voran. Pünktlich zum Gipfel - und mit einem Timing, dem man nur Absicht unterstellen kann - unterbreitete Lactalis am Montag ein Kaufgebot für 100 Prozent der Parmalat-Aktien. Auch in diesem Punkt knickte Berlusconi ein; die zuletzt in Rom zu hörenden Worte von der nötigen Abwehrschlacht gehörten der Vergangenheit an. Stattdessen bejubelt Italiens Regierungschef jetzt die "Entstehung großer französisch-italienischer oder italienisch-französischer Unternehmensgruppen" - und ein rundum zufriedener Sarkozy jubelt mit.
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