Schauspielschule heimatlos: Eine echte Tragödie
Seit Jahren sucht die Schauspielschule Ernst Busch einen neuen Campus für ihre weit verteilten, maroden Einrichtungen. Der Regierende Bürgermeister hatte versprochen, das Problem bis zur Sommerpause zu lösen. Daraus wird wohl nichts.
Wolfgang Engler schaut nicht auf die in der Sonne glitzernde Spree hinter seinem Zaun. Er hat ihr mit seinem grünen Plastikstuhl den Rücken zugekehrt. Stattdessen blickt der Rektor geradewegs auf den senffarbenen DDR-Klotz, seine bröckelnde Schauspielschule. Der Mann mit dem grauen Anzug und den raspelkurzen Haaren sitzt unter Kastanien in seinem kleinen Hochschulgarten in der Schnellerstraße in Niederschöneweide und sieht ratlos aus. "Ungehörig", "unfair", "bizarr", sagt Wolfgang Engler immer wieder. Seit fünf Jahren sucht seine Schauspielschule Ernst Busch schon einen neuen, gemeinsamen Standort. Nun scheint der Umzug schon wieder zu platzen. Eine Tragödie, eine echte.
"Wir fühlen uns immer wieder auf null gesetzt", grollt der eigentlich bedächtige Mann. "Ich bin doch mehr als verstimmt." Bereits 2003 rief der Senat ein Interessenbekundungsverfahren für einen neuen Campus für die bundesweit renommierte Schauspielschule aus. Die Sache lief gut: 16 interessierte Bieter fanden sich, der Senat stellte 29,3 Millionen Euro für einen Hochschulneubau in den Haushalt. Noch im Sommer vergangenen Jahres versprach Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD), eine Entscheidung bis zum Herbst 2007 getroffen zu haben. Allein - diese wurde nie gefällt.
Vor einigen Wochen nun der vorläufige Tiefpunkt: Der Senat lässt das Vergabeverfahren abbrechen. Die Kosten für die letzten drei favorisierten Standorte hätten rund ein Drittel über dem eingeplanten Budget gelegen. Nun würden landeseigene Immobilien als Alternative geprüft, sagt Bernhard Kempf, Sprecher des Wissenschaftssenators. Wann die Prüfung beendet sein wird, könne er nicht sagen. Dafür hat seine Verwaltung jetzt noch ein ganz anderes Problem: Gegen sie läuft eine Klage vor der Berliner Vergabekammer. Die zuletzt noch im Rennen befindlichen Standortbewerber haben eine Beschwerde gegen die möglicherweise fehlerhafte Ausschreibung des Senats eingereicht.
Hochschulleiter Engler kann nur den Kopf schütteln: "Ich habe nicht den Eindruck, dass die zuständige Senatsverwaltung mit Fleiß, Umsicht und der entsprechenden Priorität in unserer Sache handelt." Bereits 2005 habe es doch eine Prüfung landeseigener Gebäude für den Umzug gegeben - ohne Ergebnis. Dabei sei der Umzug inzwischen äußerst dringlich.
Gerade das Haupthaus in der Schnellerstraße sei baufällig. In dem klobigen Bau aus den 70er-Jahren scheint tatsächlich an vielen Stellen die Zeit stehen geblieben zu sein: verfärbte Fassaden, graue Aluminiumtüren, Treppenaufgänge aus DDR-Terrazzo, antiquierte Heizkörper. Engler verweist zudem auf asbestbelastete Platten und das verfärbte, mit erhöhten Blei- und Eisenwerten belastete Leitungswasser. Auch Estera Stenzel, Schauspielprofessorin an der Hochschule, klagt: "Im Sommer stinkt es in den Sanitäranlagen, dass es nicht mehr lustig ist." Und in die Bibliothek habe es schon reingeregnet, berichtet Engler. "Es gibt immer das ungute Gefühl, ob uns nicht die nächste Havarie lahmlegt."
Nicht weniger problematisch ist die Zersplitterung der Hochschule über die Stadt. An vier Standorten arbeiten Studenten und Lehrende: die Schauspieler in Niederschöneweide, die Puppenspieler in Lichtenberg, die Choreografen und Tänzer sowie die Regisseure an zwei unterschiedlichen Orten in Prenzlauer Berg. "Das ist eine ewige Hetzerei", stöhnt Student Janusz Kocaj und verweist auf das zusätzliche Pendeln zu den acht Partnertheatern. Der ganz in Schwarz gekleidete 21-Jährige mit den schulterlangen Haaren zeigt auf den Hochschulgarten: "Hier könnte man so schön mit den Regiestudenten diskutieren und Kontakte knüpfen." Stattdessen laufe man vielen Kommilitonen selten über den Weg. "Von den Puppenspielern in Lichtenberg weiß ich nichts, die kenn ich überhaupt nicht." Ein Problem, das auch Professorin Estera Stenzel hervorhebt: "Das Miteinander funktioniert nicht, man ist sich fremd."
Selbst der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) drängt inzwischen zur Eile. Bei einem Besuch der Schule im April versprach er, eine "Perspektive" für den künftigen Standort bis zur Sommerpause Mitte Juli liefern zu wollen. "Es vergeht keine Woche, in der er nicht bei Zöllner nachfragt", versichert Wowereits Sprecher Richard Meng. Man habe aber den Eindruck, dass die Prüfungen in der Verwaltung des Wissenschaftssenators "ein bisschen lange dauern".
Größeres Ungemach droht Zöllner von den Bewerbern um den neuen Zentralstandort und ihrer Klage vor der Vergabekammer. Drei Angebote waren zuletzt noch im Rennen: die Garbáty-Höfe in der ehemaligen Pankower Zigarettenfabrik, die Josetti-Höfe an der Jannowitzbrücke und ein Neubau an der Friedrichshainer Spreebrache zwischen Flussufer und Stralauer Platz. Natürlich seien die Angebote teurer geworden, erklärt Maik Kettner, der mit seiner Projektgesellschaft die Schauspielschule in die Garbáty-Höfe holen will. "Der Senat hat ja auch die Leistungen immer weiter erhöht, ohne das Budget anzupassen." Eine neue Bühne hätte plötzlich zu den Leistungen gehört, zudem seien Baupreise und Mehrwertsteuer gestiegen - ohne dass dies in der Ausschreibung berücksichtigt worden wäre. "Ein chaotisches Verfahren", kritisiert Jürgen Kilian vom Projektangebot am Stralauer Platz. "Der Senat handelt nicht offen und transparent."
Zudem vermuten die Bewerber, dass sich der Senat während des Vergabeverfahrens längst einen anderen Favoriten ausgesucht hat: die Werkstätten der Staatsoper Unter den Linden in der Chausseestraße in Mitte. Der Haken: Die Oper benötigt die Räume bis mindestens 2010, sagt Rektor Engler. Zu lange für die Ernst-Busch-Schule. Zudem sei nicht bekannt, ob die Räume tatsächlich für die Schauspielschule geeignet seien. Und kostengünstiger wäre ein Einzug in die Werkstätten auch nicht, merkt Projektentwickler Jürgen Kilian an. Das Argument, dass man spare, da sich die Opern-Gebäude in Landesbesitz befinden, zähle nicht: "Wir hätten mit einem Flächentausch doch auch auf einem Gelände des Liegenschaftsfonds gebaut - hundert Prozent landeseigen."
Symptomatisch für das ganze Dilemma verlief auch ein kürzlich einberufenes Schlichtungsgespräch: Statt Senator Zöllner erschien lediglich dessen Staatssekretär, die Bieter waren brüskiert. "Nichts ist bei dem Treffen rausgekommen, gar nichts", moniert Garbáty-Mann Maik Kettner. "Der Senat ist nicht mehr glaubwürdig." Die Bieter hoffen jetzt auf das Urteil der Vergabekammer. Die könnte das Land auch zu Schadenersatzzahlungen verdonnern.
Die jahrelangen Querelen um den neuen Campus rufen inzwischen Kritiker aus allen politischen Lagern auf den Plan. Ein "landespolitisches Ärgernis" sei die kaum noch nachvollziehbare Dauer der Suche nach dem Zentralcampus, findet der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer. "Unhaltbar" sei die aktuelle Situation, schickt dessen Parteikollegin und Linke-Fraktionsvorsitzende Carola Bluhm hinterher. Und Christian Goiny, medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, schimpft über die "unendliche Pannengeschichte": "Die Hochschule darf nicht länger hängen gelassen werden." Selbst bei der SPD kommt Unmut auf. Ein Trauerspiel sei der Hickhack um die Standortentscheidung, findet Matthias Köhne, SPD-Bürgermeister in Pankow.
Längst ist es auch ein Wettbewerb der Bezirke, die um die repräsentable Vorzeigeschule buhlen: Ursprünglich hatte Pankow die Nase vorn. Bereits im Sommer 2005 hatten Studenten in den Garbáty-Höfen ein Stück aufgeführt: "Ernst Busch goes Garbáty". In Friedrichshain lockten die Bieter dagegen mit einem kompletten Neubau der Schule nach Entwürfen des hoch dotierten Architekten Meinhard von Gerkan, der auch den Hauptbahnhof entworfen hat. Und in Treptow-Köpenick warb der Besitzer des ehemaligen DDR-Funkhauses in der Nalepastraße mit einem Kampfangebot um die Schauspieler: Für 12 Millionen Euro könne er den gesamten Umzug realisieren. Als schlicht "unseriös" kritisiert Garbáty-Entwickler Maik Kettler dieses niedrige Angebot. Auch Schulleiter Wolfgang Engler weist es energisch zurück: "Das wäre absurd. Dort lägen wir verkehrlich noch ungünstiger."
Die Geduld der Schauspielstudenten und ihrer Dozenten scheint inzwischen am Ende. "Die Lehrenden wären bereit, öffentlich zu zeigen, dass hier dringlich gehandelt werden muss", schließt Professorin Estera Stenzel Protest gegen den Senat nicht mehr aus. Janusz Kocaj sieht diese Bereitschaft auch bei den Studenten. Schließlich ginge es um eine Berliner Vorzeige-Institution mit bundesweiter Ausstrahlung.
1951 als Nachfolgerin der großen Max-Reinhardt-Schauspielschule gegründet, gehören die aktuell rund 200 Studienplätze zu den am meisten nachgefragten in Deutschland. Größen wie Nina Hoss, Leander Haussmann oder Armin Petras lernten hier ihr Handwerk. Ebenjene will Chef Wolfgang Engler für die Proteste gewinnen. Für eine Aktion, die republikweit gehört werde. Im Förderverein der Hochschule habe es bereits eine "riesige Bereitschaft" zur Unterstützung des öffentlichen Protests gegeben.
Dennoch: Man merkt, dass Wolfgang Engler gut auf diese Aktionen verzichten könnte. Dass er es sich anders vorgestellt hatte 2005, als er mit dem Ziel als Rektor antrat, einen gemeinsamen Campus für seine Schule zu erstreiten. Im nächsten Jahr endet seine Amtszeit. Über eine erneute Kandidatur sei er sich noch nicht schlüssig. Sie könnte auch an der Lösung des Standortdramas hängen. "Wenn die nicht gelingt, wäre es ohne Frage eine richtige Niederlage", schaut Engler vor sich auf den Rasen seines Hochschulgartens. "Es ist das, was die Schule jetzt am meisten braucht."
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