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■ Schauplatz Radio: 200 Leute machen das Lokalradio Flora in Hannover, doch nur 25 werden auch dafür bezahltBürgerfunk aus der Federnfabrik

20 bis 40 Stunden pro Woche arbeitet Birgit Schubert* – zusätzlich zu ihrem eigentlichen Beruf. Die selbständige Übersetzerin und Lehrerin hat die spanische Redaktion beim Lokalradio Flora in Hannover aufgebaut. Seit dem Sendestart im Juni 1997 produziert sie mit sechs MitstreiterInnen wöchentlich eine halbe Stunde Musik- und Wortprogramm – über die Guerilla in Mexiko, den chilenischen Putsch von 1973 oder Kulturveranstaltungen in Hannover, wo eine der bundesweit größten spanischen Exilgemeinden lebt.

„Ich butter' ganz schön rein“, sagt Schubert und meint damit ihren Arbeitsaufwand zugunsten des selbstverwalteten Senders, der ihr keine Mark einbringt. Ihr Mann habe sich kürzlich von ihr getrennt: „Er wollte mein Luxushobby nicht länger finanzieren.“ Doch auch ohne diesen Tiefschlag war ihr schon vorher klar, daß „ich nicht mehr soviel für Flora arbeiten kann“. Denn die Geschäfte als freie Übersetzerin laufen schlecht. Existenzsicherung durch Lohnarbeit und Radiomachen in der Freizeit sind nur äußerst schwer vereinbar.

Seit 1993, dem Beginn der Vorarbeiten für den Programmstart, bewegt sich das Lokalradio auf einem schmalen Grat zwischen Professionalität und Ehrenamtlichkeit. Durchschnittlich elf Sendestunden täglich – und bald sollen vormittags noch zusätzliche Sendeplätze dazukommen – verlangen von den MitarbeiterInnen ein großes Maß an Zeitaufwand für Planung und Programmgestaltung, technische und journalistische Qualifikation sowie Verbindlichkeit gegenüber den anderen Redaktionsmitgliedern. Ein „Heute habe ich keine Lust“ leisten sich nur die wenigsten, wenn die Sendung für den nächsten Tag noch nicht steht.

Dabei verdienen nur rund 25 Personen Geld bei Flora. „Aber etwa 200 Leute arbeiten mit“, schätzt Petja Wundenberg, Hirn und Inspirator des Projekts, das in einer ehemaligen Bettfedernfabrik im alternativ und multikulturell geprägten Stadtteil Linden residiert. Die Gehälter der sieben festangestellten Leute in Sende-, Geschäfts- und technischer Leitung und in der Nachrichten- und Kulturredaktion sind knapp bemessen. Wundenberg beispielsweise bekommt für seine 50 Wochenstunden 2.200 Mark netto. Die Honorarkräfte verdienen in der Regel nur einige hundert Mark, und viele Ehrenamtliche halten sich mit 610-Mark-Stellen, Studentenjobs oder Unterstützung von Familienangehörigen über Wasser.

Einen Teil des Budgets von rund 1,2 Millionen Mark jährlich erwirtschaftet das Radio durch Beiträge seiner Vereinsmitglieder. Sponsorengelder fließen noch spärlich, und Werbung darf nicht gesendet werden. Deshalb garantiert die niedersächsische Landesmedienanstalt im Rahmen eines fünfjährigen Modellversuchs die Basisfinanzierung von knapp 600.000 Mark pro Jahr. Flora ist als „publizistische Ergänzung“ zum gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen und zum werbefinanzierten privaten Rundfunk anerkannt.

Diese nicht martkförmige Konstruktion und der hohe Anteil ehrenamtlicher MitarbeiterInnen machen das Lokalradio zu einem klassischen Beispiel dafür, was der Soziologe Ulrich Beck als „Bürgerarbeit“ bezeichnet. „Denen eine Stimme geben, die sonst keine haben“ lautet das Motto der Bürgerfunker. Mit seinem Programm, das eine Million Menschen im Großraum Hannover erreicht, und der Arbeit in den Redaktionen ermöglicht Flora neue soziale Zusammenhänge oder unterstützt bestehende. RentnerInnen, denen Teamarbeit oft unbekannt war, machen die Sendung „Silberstreif“ und „fahren“ sie selbst an den Mischpulten und Bandmaschinen. Die kleine albanische Exilgemeinde hört erstmals muttersprachige Nachrichten über die Lage im Kosovo. Und die Musikredaktion spielt Songs unbekannter Lokalbands, die bei NDR, Antenne und Radio FFN ansonsten chancenlos sind.

Zudem bietet das Radio jährlich etwa hundert Interessierten diverse journalistische Grundausbildungskurse an. Einige von ihnen werden wohl später bei den traditionellen Sendern anklopfen – eine sehr preiswerte Qualifikation angesichts Zehntausender fehlender Ausbildungsstellen.

Allein: Der Laden läuft auf Sparflamme, und viele Beteiligte krebsen „hart am Existenzminimum“, weiß Programmorganisator Christoph Weymann. Nicht nur Spanischredakteurin Birgit Schubert „fände es toll, wenn ich hier Geld verdienen könnte“. Mit etwas mehr öffentlichen Mitteln könnten Dutzende von Arbeitsplätzen geschaffen werden, die quasi jetzt schon existieren. Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Die Landesmedienanstalt könnte den ehrenamtlichen RadiomacherInnen ihre geleisteten Arbeitsstunden bescheinigen; und die Stadtverwaltung würde pro Stunde einen Lohn von 15 Mark auszahlen. Doch die große Frage, woher dieses Geld kommen soll, harrt bislang einer Beantwortung.

Aber selbst wenn es eine neuartige Finanzierung sozialen Engagements gäbe, könnten nicht alle Flora-Leute in deren Genuß kommen. „Es geht nicht ohne Ehrenamt“, so Wundenberg. Denn das Projekt gehorcht dem Prinzip der „Zugangsoffenheit“: Alle, die kommen, dürfen mitmachen – auch wenn sie nur bescheidene Fähigkeiten mitbringen. Erst Qualifikation, dann Bezahlung.

Kay Pabst, der Organisator der SeniorInnenredaktion, ist qualifiziert. Trotzdem muß er zusehen, daß er sich bald vom Radiofieber heilt. „Es ist wie ein Sog, der Aufbau von 1993 bis jetzt war hammerhart“, sagt er. Mit 1.000 Mark Honorar kommt er nicht mehr zurecht. Ab Herbst muß er sich darum kümmern, seine Schulden zu bezahlen. Hannes Koch

* Name geändert

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