: Scharping schlägt Bundeswehr
Die umstrittene Somalia-Äußerung des Verteidigungsministers erregt das politische Berlin mehr als der Beschluss über die Schutztruppe für Afghanistan
Aus Berlin SEVERIN WEILAND
Eigentlich hätte die Stimmung so friedvoll sein können im zugeschneiten Berlin. Wäre da nicht die vorweihnachtliche Krise, die Rudolf Scharping wegen seiner angeblichen Äußerung zu einem möglichen Einsatz der USA in Somalia auslöste: „Jeder, der Somalia ausschließt, ist ein Narr. Natürlich wird da was passieren.“
Gestern wusste die Neue Revue von einem handfesten Krach im Kanzleramt zu berichten. Gerhard Schröder habe seinem Verteidigungsminister untersagt, über die Feiertage mit der Lebensgefährtin Gräfin Pilati in die Karibik zu fliegen, meldete die Illustrierte. „Fliegst du, dann fliegst du!“, zitierte sie einen angeblich erbosten Kanzler und behauptete zugleich, der Streit um die erteilte Urlaubssperre sei vom achten Stock des Kanzleramtes bis ins Erdgeschoss zu hören gewesen.
„Das ist in allen Teilen frei erfunden“, dementierte gestern ein verärgerter Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye. Er wundere sich darüber, dass „auf seriöse Quellen keine Rücksicht mehr genommen“, sondern „jeder denkbaren journalistischen Hervorbringung“ Glauben geschenkt werde. Der im Saal der Bundespressekonferenz neben ihm sitzende Scharping sagte, er habe Heyes Äußerung „nichts mehr hinzuzufügen“. Seit einem Jahr habe er „als Kontinuum eine gewisse Berichterstattung zur Kenntnis genommen“. Damit spielte er auf frühere Boulevardgeschichten über seine Beziehung zur Gräfin an. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hatte bereits am Mittag erklärt, Scharping habe bereits nach dem 11. September entschieden, seinen Urlaub zu Hause zu verbringen.
Die Union tat, was eine Opposition tun muss: Sie verlangte Scharpings Rücktritt wegen dessen Äußerung zu Somalia. Es sei „staatspolitisch ein Skandal, dass dieser Mann noch im Amt bleibt“, sagte Fraktionschef Friedrich Merz. Scharping versuchte den Schaden gestern abzumildern, den er mit seiner vertraulichen Äußerung vor Journalisten angerichtet hatte. „Militärische Pläne zum Eingreifen in Somalia liegen nicht vor“, sagte er vor der Bundespressekonferenz. Und den Kanzler zitierten die Nachrichtenagenturen mit der Bemerkung, in Scharpings Äußerungen sei „etwas hineingeheimnisst worden, was nicht hineinzugeheimnissen ist“.
Wie auch immer der Satz gemeint war – nach der Affäre um die sommerlichen Badefotos stand Scharping einmal mehr im medialen Interesse. Da geriet sogar der gestrige Kabinettsbeschluss über den bevorstehenden Bundeswehreinsatz in Afghanistan ein wenig in den Hintergrund. Bis zu 1.200 Soldaten will Berlin zur Verfügung stellen. Ihr Einsatz soll auf sechs Monate befristet werden. Über die Auswahl der Kräfte – die Bundeswehr wird mit weiteren Kräften aus den Niederlanden und aus Dänemark operieren – werden laut Scharping die Briten als Führungsnation entscheiden. Die Gesamtstärke der Schutztruppe blieb aufgrund der andauernden Gespräche ebenso offen wie der Zeitpunkt der Verlegung erster deutscher Einheiten.
Zustimmung im Eiltempo
Fest steht: Der Bundestag wird heute im Eiltempo den Regierungsantrag beraten und am späten Nachmittag verabschieden. Überraschungen werden keine erwartet. Die Union hatte bereits vor Tagen ihre Zustimmung signalisiert, ebenso die FDP. Lediglich die PDS bleibt bei ihrer Ablehnung, wenn sie auch nach den Worten ihres Fraktionschefs Roland Claus kein „dogmatisches Nein“ will – mögliches Anzeichen für einen grundsätzlichen Gesinnungswandel bei künftigen UN-Einsätzen.
Innerhalb der rot-grünen Koalition wird Gerhard Schröder wohl keine Geschlossenenheit erwarten können. Gestern meldeten erste Kriegsgegner Bedenken an. Der Grüne Winfried Hermann, der zuletzt mit drei weiteren Parteifreunden im Parlament gegen die Beteiligung von 3.900 Soldaten am Antiterrorkampf votiert hatte, will sich möglicherweise enthalten. Er wollte sich gestern aber nicht endgültig festlegen. Wenn überhaupt, dann mache nur ein robustes Mandat Sinn, sagte Hermann. Andererseits sehe es so aus, als hätte jetzt der Frieden eine Chance, auch wenn er gewaltsam herbeigeführt wurde. Seiner „gespaltenen Haltung“ werde er wohl am ehesten mit einer Enthaltung gerecht, so Hermann.
Auch der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele hielt gestern sein Votum offen. Er habe noch „eine Reihe von Fragen“, die bis zur Abstimmung geklärt werden müssten, sagte er der taz. Unter anderem will Ströbele wissen, wer nach drei Monaten das Kommando der Friedenstruppe übernimmt. Es müsse ausgeschlossen sein, dass dann die Vereinigten Staaten an die Stelle der Briten träten.
Der Bundesverteidigungsminister wollte sich gestern nicht zu Spekulationen äußern, wonach die Türkei sich angeboten hat, das Kommando zu übernehmen. Deutschland werde es wohl nicht sein. „Für uns ist klar, dass wir über die Fähigkeit noch nicht verfügen“, sagte Scharping.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen