Schanzenviertelbewohnerin klagt gegen Gesetz: Polizeirecht auf dem Prüfstand
Eine Bewohnerin aus dem Hamburger Schanzenviertel klagt gegen das Polizeigesetz, das die Festlegung von "Gefahrengebieten" zulässt. Dort sind verdachtsunabhängige Personalienkontrollen zulässig.
HAMBURG taz | Das Hamburger Polizeirecht kommt auf den Prüfstand. Am Freitag hat der Verwaltungsrechtler Carsten Gericke für seine Mandantin Ines Ball* Klage beim Hamburger Verwaltungsgericht eingereicht. Die Klage richtet sich gegen einen Passus im "Polizeigesetz zur Datenverarbeitung" (PolDVG), der der Polizei die Festlegung sogenannter "Gefahrengebiete" erlaubt. In diesen Regionen sind präventiv verdachtsunabhängige Personalienkontrollen und Durchsuchungen zulässig, die oft in Platzverweisen, Hausarresten oder Aufenthaltsverboten münden.
Rund 40 solcher "Gefahrengebiete" hat die Polizei seit Novellierung des Polizeirechts 2005 in zahlreichen Regionen Hamburgs zeitweilig oder auch längerfristig eingerichtet. So zum wiederholten Mal rund um den 1. Mai, als für zwei Tage in den Abend- und Nachtstunden um "Ausschreitungen vorzubeugen" die Gegend rund um das Schanzenviertel zum Gefahrengebiet erklärt worden war.
In eine derartige Polizeimaßnahme geriet auch am Vorabend des 1. Mai Ines Ball, als sie gegen 23 Uhr mit Freundinnen zu einer Gaststätte in Richtung Schanzenbahnhof unterwegs war. Zunächst wurde sie an einer Polizeikette nicht durchgelassen, dann verlangten die Beamten, ihren Personalausweis und durchsuchten ihren Rucksack. Wenig später erschien ein weiterer Polizist und erklärte Ball, dass gegen sie ein Aufenthaltsverbot für das "Gefahrengebiet Schanze" verhängt werde. Dazu wurde ihr ein vorgedruckter Zettel "Schriftliche Hinweise zum mündlich erteilten Aufenthaltsverbot" ausgehändigt, ohne eine konkrete Gefahr zu begründen, was notwendig gewesen wäre.
In der Walpurgisnacht und am 1. Mai waren das Hamburger Schanzenviertel und die Umgebung zwischen 19 und fünf Uhr zum Gefahrengebiet erklärt worden.
Personalienüberprüfungen fanden bei 1.245 Menschen statt, 318 Personen wurden zusätzlich durchsucht.
Aufenthaltsverbote sind gegen 389 Personen ausgesprochen worden, 51 Menschen wurden in Gewahrsam genommen, gegen 44 Personen wurden Platzverweise erteilt.
Im Visier der Polizei waren Personen, die augenscheinlich ihrem äußeren Erscheinungsbild oder dem Auftreten nach dem linken Spektrum zugerechnet werden könnten.
Verdächtig waren auch Menschen zwischen 16 und 35 Jahren in Gruppen ab drei Personen.
Als Ines Ball anmerkte, dass sie im Schanzenviertel wohne, erklärte der Beamte, dass dies "wohl bekannt aber egal" sei. Sie habe auf dem schnellsten Weg nach Hause zu gehen und dürfe die Wohnung bis fünf Uhr morgens nicht mehr verlassen. "Sie sollte erklärtermaßen einem faktischen Hausarrest unterworfen werfen", sagt Gericke.
Doch es kam noch heftiger: Plötzlich erklärte ein anderer Beamter, dass Ball in Gewahrsam genommen werde, um das Aufenthaltsverbot praktisch durchzusetzen. Bis morgens um drei Uhr verbrachte sie die Nacht in einer Zelle einer Polizeiwache. "Die mehrstündige Freiheitsentziehung stellt eine schwerwiegende Verletzung ihrer Grundrechte dar", sagt Gericke.
Aber auch die Normen im PolDVG hält der Verwaltungsrechtler für rechtswidrig: "Diese Ermächtigung ist in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig", sagt er. So verlange das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber ein Bestimmtheitsgebot, so dass sich betroffene Bürger auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können. Anhand der gesetzlichen Regelungen müssen Betroffene die Rechtslage erkennen können, um das Verhalten danach auszurichten. Das PolDVG überlasse jedoch die Definition und Einrichtung bestimmter Gefahrengebiete allein der Polizei und ihren vermeintlich für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbaren "Lageerkenntnisse". Die wahllosen Personenkontrollen stellen aber einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar, da dadurch gespeichert werden kann, mit wem sich eine kontrollierte Person an welcher Örtlichkeit aufgehalten habe. Und die Durchsuchung mitgeführter Sachen sei gekennzeichnet von einem "Eindringen in die private Sphäre eines Betroffenen im Weg des zweckgerichteten Ausforschens", so Anwalt Gericke.
Die Auswirkungen des "Gefahrengebiet Schanze" sei im Mai besonders plastisch geworden, als die Bewohner des Schanzenviertels ohne Anlass einer Identitätskontrolle unterzogen worden sind. Wollten sich Anwohner dieser Kontrolle nicht aussetzen, hätte der- oder diejenige zu Hause bleiben oder das Schanzenviertel meiden müssen. "Diese Konsequenz ist fraglos verfassungsrechtlich inakzeptabel", sagt Gericke. Auch dürfe der Zugang zur Wohnung nicht in ein Aufenthaltsverbot einbezogen werden.
Gericke geht davon aus, dass sich das Verwaltungsgericht mit dem Komplex Gefahrengebiet und verdachtsunabhängige Kontrollen intensiv auseinandersetzen wird. Gericke: "Es gibt dazu noch keine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts."
*Name geändert
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