piwik no script img

Schalk im Nacken

Ein Moderner mit einem kleinen Koffer voller Ideen, Visionen und Geheimnisse: Der Verleger Erich Maas ist tot

Sehr gute Freunde, sehr tolle Menschen verschwinden mitunter ganz plötzlich. Erich Maas, am 18. Juni wäre er 49 Jahre alt geworden, verstarb am vergangenen Donnerstag an den Folgen eines Herz-Kreislauf-Versagens.

Jetzt sitze ich hier, es ist Ostermontag – Mensch Erich, mir ist ganz schlecht – und schreibe einen Nachruf in zwei Stunden. Mehr Zeit ist nicht. Lach nicht, Erich, so lustig ist das nicht.

Hätte Erich Maas mir Tipps für den Nachruf geben können, hätte er, der Sprüche- und Aphorismensammler, vielleicht Marcel Duchamp zitiert: „Alles Wichtige, dass ich getan habe, kann in einen kleinen Koffer gepackt werden.“ Stimmt, aber der kleine Koffer ist prallvoll mit Ideen, Visionen und Geheimnissen. Vor einem Jahr erstellte Maas eine Collage zum Thema „Der Mensch und seine Erinnerungen“ für eine populärwissenschaftliche Zeitschrift. Die Collage bestand aus Porträtfotos nur von ihm.

Erich Maas war immer ein kleines Kraftpaket, immer stilbewusst, mit einem Riesenschalk im Nacken. Auf einem Porträt muss er so um die zwanzig gewesen sein, auf einem anderen sieht er aus wie ein Pariser Bohemien Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Moderner. Aufgewachsen an der Mosel, in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Cochem, drängte es ihn, wie es bei einem Modernen so ist, in die Städte. In Erich Maas’ kleinem Koffer sind viele Fährten und Spuren zu entdecken. Ein paar führe ich kurz an. Mit dem in New York lebenden Kunstbuchherausgeber Delano Greenidge arbeitete er seit Mitte der Achtziger an einer Gesamtbildbandausgabe von Marcel Duchamp.

1990 brachten beide in Köln einen Bildband mit den Werken von Blinky Palermo heraus. Im selben Jahr gründete Maas, der auch ein geschätzter und preisgekrönter Illustrator war, mit Carsten Wettreck in Berlin den Maas-Verlag. Und, was soll ich sagen: Über den Maas-Verlag, über seine Modernität und seine literarischen Entdeckungen dürfte noch viel geschrieben und debattiert werden. Als ich Erich 1992 kennen lernte, räumte er gerade auf und verkaufte seinen persönlichen Bücherbestand. Bücher zu besitzen wäre Unsinn, meinte er, und wurde so ein ständiger Besucher staatlicher Bibliotheken.

Ich denke, Erich hätte gern das Wichtigste komprimiert auf eine Diskette geladen. Seit Mitte der Neunziger arbeitete er an einem großen Projekt, der ersten deutschen Internetplattform für Independentverlage. Ulf Schleth, Rene Kohl und Silke Buttgereit sind /waren seine Weggefährten bei txt, so der Name der Firma. 1998 begannen Erich und ich die Reihe Maas Media, inzwischen gibt es über zehn Bild- und Textbände. Kollege Frank Nowatzki betreut die von Maas mitinitiierte Krimireihe des Verlags: Pulp Master. Auch wenn er zuletzt der Kunst sehr kritisch gegenüberstand, hatte ich den Eindruck, dass da noch was gekommen wäre: Gerade in den letzten Monaten war er energiegeladen und glücklich wie lange nicht. Erich Maas wird zurück an die Mosel gehen. Am Tag seiner Beerdigung wird er einen maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug tragen. MARIO MENTRUP

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen