■ Zehn Jahre hatte er Zeit, es zu schaffen. In zwei Monaten ist Zahltag: Schafe sind Schafe
Jahrelang rannte ich Schafen hinterher, um sie am Schwanz zu ziehen. Tiersex? Nein, Schafsschwänze machen mich überhaupt nicht an. Und doch war ich besessen davon, sogar zwei Schwänze im selben Augenblick zu ergreifen. Warum bloß? Ach, ich wollte tausend Mark verdienen, bzw. ich wollte sie nicht verlieren. Diesen Betrag versprach mir mein Vater vor knapp zehn Jahren, falls mir das Unmögliche gelänge. Hilfsmittel wie Lasso oder Laserpistole sollten tabu sein.
Klar, sagte ich damals, das schaffe ich. Mit fünfzehn traut man sich alles zu. Wir wanderten auf den Deichen in List auf Sylt, überall standen und lagen die Wollmöpse. Tausende. Ich rannte sofort los, doch die Mistviecher waren immer schneller als ich. Prima, sagte mein Vater, der mich vergeblich greifen und andere Spaziergänger lachen sah, ich gebe dir zehn Jahre Zeit, zwei Schafsschweife in die Hände zu bekommen, wenn's nicht klappt, dann gehört der Tausender mir. Ein fairer Vorschlag. Natürlich willigte ich ein.
Die zehn Jahre sind in zwei Monaten um, ich habe es nicht geschafft, vor Zeugen nicht und auch nicht im geheimen. Was habe ich nicht alles getan! Leider sind Schafe weder besonders dumm, noch lassen sie sich bestechen. Ich glaube, sie haben ein sehr gutes Gedächtnis. Schafe wissen jedenfalls, daß sie wegzuhoppeln haben, wenn ein geldgeiler Jüngling auftaucht, der Arme und Hände nach ihnen ausstreckt. Wahrscheinlich haben schon andere Väter mit ihren Söhnen dieses Spielchen getrieben.
Die Schafe, denen ich auflauerte, kannten jedenfalls meine Tricks. Einmal hatte ich bei „Gosch“, dem Sylter Fischfabrikanten, frische Krabben gekauft. Das Krabbenfleisch wanderte in meinen Magen, Kopf und Schwanz in eine Tüte. Die Sylter Schafe, so erklärte mir ein Hirte, seien ganz scharf auf die sterbliche Hülle der Krabben. Von wegen Herbivore! Schafe sind überzeugte Fischfresser. Nachdem ich mit meinem alten Herrn abgeklärt hatte, daß die Krabbenmethode nicht gegen die Wettabmachung verstoße, legte ich das Zeug in eine Dünenmulde, in der ich am Tag zuvor ein Schafspärchen hatte übernachten sehen.
Die beiden kamen tatsächlich wieder angewackelt und fraßen meinen Köder. Der Schafshüter hatte mir außerdem erzählt, daß ein mit Krabbenschalen vollgestopftes Schaf binnen kurzem in einen Tiefschlaf fällt. Nun, das Wiederkäuen war abgeschlossen, die Tiere streckten alle viere von sich, ich näherte mich der Schlafstätte. Welch ein grausamer Anblick das war: Die gemeinen Dinger hatten sich auf den Rücken und auf den Schwanz gelegt. Enttäuscht zog ich ab, denn ich konnte die Schafe ja schlecht im Schlafe auf den Bauch rollen, um dann in aller Ruhe an den Schwänzen zu ziehen. Es war nichts zu machen.
Im Laufe der Zeit bekam ich eine Schafsneurose, ich alpträumte von Schafen, ich aß jeden zweiten Tag Hammel, verzweifelt gesellte ich mich auf meinem diesjährigen Syltbesuch im Schafskostüm zu einer Schafsherde. Das war mein letzter Versuch. Nur knapp verfehlte ich mein Ziel, das heißt, ich erwischte nur einen Schafsschwanz. Meine Pfoten stanken dermaßen nach Schafsscheiße, daß ich an dem Unglückstag gänzlich darauf verzichtete, mir ein Stück Nahrung in den Mund zu schieben. Der Allmächtige, der auch die blöden Schafe erschuf, hat entschieden. Ich werde zahlen müssen. Carsten Otte
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