piwik no script img

Schadstoffe in ObdachlosenunterkunftGleichgültige Behörden

Schon vor der Eröffnung einer Notunterkunft in Hannover wusste die Stadt von erhöhten Schadstoffwerten im Boden. Dort lebten vor allem Kinder.

Seit letztem Jahr geschlossen: Notunterkunft in Hannover-Burg Foto: Janina Schuster

Hamburg taz | Die Stadt Hannover hat jahrelang eine Notunterkunft für obdachlose Menschen auf einem Grundstück betrieben, dessen Boden mit krebserregenden Schadstoffen belastet ist. Dabei sollen laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung die Behörden noch vor Eröffnung der Unterkunft 2014 von den Umweltproblemen gewusst haben. Bis zum Ende des Betriebs voriges Jahr waren dort vor allem Kinder untergekommen – obwohl Kinder bei einer solchen Erdbelastung besonders gefährdet sind.

Insgesamt bis zu 120 Personen waren über mehrere Jahre in der Unterkunft untergebracht. Die Bewohner*innen waren überwiegend Roma-Familien. Das Gelände im Stadtteil Burg im Norden der Stadt war zuvor eine Schule. 2011 wurde die Paul-Dohrmann-Schule geschlossen. Danach stand das denkmalgeschützte Gebäude zunächst leer. 2014 errichtete die Stadt auf dem Gelände die Notunterkunft für obdachlose Menschen.

Zu diesem Zeitpunkt wussten die Behörden bereits von einer erhöhten Belastung des Bodens mit Blei und sogenannten Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Das bestätigte ein Sprecher auf Anfrage der taz.

Für Hermann Kruse ist es unverständlich, dass der Boden zuvor nicht saniert wurde. Er ist Toxikologe an der Kieler Universität und konnte zentrale Auszüge des Gutachtens von 2014 einsehen. „Die Bleiwerte im Boden sind sehr hoch – solche Werte können besonders für Kinder krebserregend sein“, sagt Kruse. Aus seiner Sicht hätten die Behörden längst reagieren müssen. „Auch im Gutachten von 2014 wurde darauf hingewiesen, dass etwas geschehen müsse“, sagt Kruse.

Besonders Kinder seien bei Blei im Boden gefährdet, weil das Schwermetall im Laufe der Zeit an die Oberfläche dränge. „Und dort spielen Kinder und kommen damit meist als Erstes in Kontakt“, sagt Kruse. Über Pflanzen können die Schadstoffe auch in die Nahrungskette gelangen.

Solche Werte können besonders für Kinder krebserregend sein

Hermann Kruse, Toxikologe

Vonseiten der Stadt heißt es, dass die gemessenen Werte nicht so hoch seien, als dass die Stadt darauf hätte reagieren müssen. „Für die untergebrachten Personen, einschließlich der Kinder, bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gesundheitsgefährdung“, sagt Dennis Dix, Sprecher der Stadt. Alle Werte seien unterhalb der Grenzwerte, die die Bodenschutzverordnung vorgibt.

Als Ursache für die Schadstoffbelastung führt die Stadt „trümmerschutthaltige Auffüllungen“ an, die in Großstädten wie Hannover weit verbreitet seien. Demnach befindet sich Blei bereits seit mehreren Jahrzehnten im Boden.

Widerstand gegen die Sichtweise im Rathaus regt sich nun allerdings vor Ort. Denn zu der Bodenbelastung kommt, dass die Ergebnisse des Gutachtens nicht in den öffentlichen Unterlagen für die politischen Gremien aufgenommen wurden. Die Bezirkspolitiker*innen im Stadtbezirk Herrenhausen-Stöcken wussten von der Giftbelastung bislang nichts.

„Wir wurden im Bezirksrat bis heute nicht darüber informiert“, sagt Hannelore Mücke-Bertram, die für die Grünen im Rat sitzt. Das hält die Stadt auch bis heute nicht für nötig. „Da zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für Menschen vorlag, ist eine Vorlage des Gutachtens an politische Gremien nicht erforderlich“, sagt Dix.

Besorgnis über weitere Gefährdung

2019 wurde der Betrieb des Gebäudes vonseiten der Stadt aufgegeben, die Bewohner*innen wurden auf andere Unterkünfte verteilt. Zuvor stand die Unterkunft in der Burgstraße mehrmals in der Kritik. Einerseits gab es Beschwerden von Anwohner*innen, andererseits forderten Lehrer*innen mehr Unterstützung der Stadt für die dort wohnenden Roma-Kinder.

Bei der Begründung zur Schließung der Unterkunft war die Schadstoffbelastung des Bodens kein Thema. Es gebe erhebliche Mängel in der Gebäudesubstanz, die eine Fortführung als Notunterkunft unmöglich mache, hieß es damals. Im Bezirk war man überrascht: „Wir haben uns im Bezirk gewundert, dass die Stadt die Unterkunft so plötzlich aus diesem Grund aufgegeben hat“, sagt Mücke-Bertram.

Besorgnis gibt es im Stadtteil darüber, ob weiterhin eine Gefährdung bestehe. „In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Freiluftschule, in der Schulklassen bis zu einer Woche Zeit verbringen“, sagt Mücke-Bertram. Und mittlerweile ist in den Gebäuden eine Nachhaltigkeitsinitiative untergekommen. Doch eine Sanierung des Bodens steht weiterhin nicht an. Für den Toxikologen Kruse ist das unverständlich: „Da muss dringend etwas getan werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Dix ist ja nur der Pressesprecher also von da her nur der Prellbock.

    Da muss man dann mal an den zuständigen Referats- oder Dezernatsleiter herantreten warum der diese für eine politische Entscheidung maßgeblichen Fakten verschwiegen hat.

    Aber ich fürchte wie üblich wurde der- oder diejenige im Zuge eines politischen Deals auf seinen Posten gehievt und da sitzt er nun.



    Und vermutlich wussten die maßgeblichen Ratsfraktionen sehr wohl was da los ist - aber halt nicht "offiziell" - sprich nicht nachweislich.

  • "Vonseiten der Stadt heißt es, dass die gemessenen Werte nicht so hoch seien, als dass die Stadt darauf hätte reagieren müssen. „Für die untergebrachten Personen, einschließlich der Kinder, bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gesundheitsgefährdung“, sagt Dennis Dix, Sprecher der Stadt. Alle Werte seien unterhalb der Grenzwerte, die die Bodenschutzverordnung vorgibt."



    „Da zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für Menschen vorlag, ist eine Vorlage des Gutachtens an politische Gremien nicht erforderlich“, sagt Dix.

    Wenn alles so harmlos ist, wie formuliert, warum veröffentlicht die Stadt dann nicht das Gutachten. Was will die Verwaltung der Öffentlichkeit vorenthalten?



    Haben die betroffenen Beamten und Angestellten vielleicht begründete Angst vor Zivilklagen?