Saurer Teilchenregen in Wedel: Kraftwerk geht ins Auge
Wedeler Bürger wollen das Heizkraftwerk Wedel per Eilantrag stilllegen lassen. Sie sehen sich durch ätzende Partikel gefährdet.
Anwohner klagen schon seit Jahren über die Partikel, die der Kraftwerksschornstein über die Umgebung verteilt. Die Teilchen, die wohl aus dem Rauchgas des Kraftwerks stammen, verätzen Metalliclacke von Autos und Glas. Außerdem befürchtet die Bürgerinitiative „Kein Mega-Kraftwerk Wedel“ schwere Augenschäden. „Das ist kein Spaß“, sagt Kerstin Lueckow von der Initiative.
Das Heizwerk ist eine Altlast, die Hamburg mit dem Rückkauf des Fernwärmenetzes im September 2019 von Vattenfall übernommen hat. Die städtische Gesellschaft Wärme Hamburg will es bis 2025 durch eine klimaverträglichere Lösung ersetzen.
Der Eilantrag von „Kein Mega-Kraftwerk Wedel“ richtet sich gegen das schleswig-holsteinische Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) als Genehmigungsbehörde. Dieses hatte im Januar zwei beruhigende Gutachten veröffentlicht. Fazit laut dpa: Von den Partikelniederschlägen aus dem Kohlekraftwerk gehe keine Gesundheitsgefahr aus und auch nicht die Gefahr von Lackschäden.
Kampf der Gutachter
Die Bürgerinitiative ließ das toxikologische Gutachten nun ihrerseits unter die Lupe nehmen. Dieses sei „nicht dazu geeignet, die Gesundheitsgefahr durch emittierte Partikel im Wohnumfeld des Heizkraftwerks Wedel zu bewerten“, heißt es in der Stellungnahme. Der Gutachter des Landes habe die falschen Partikel untersucht; er sei nicht von einem Worst-Case-Szenario ausgegangen und habe die Schädlichkeit der Partikel nicht realitätsgerecht geprüft.
Stephan Jersch, Die Linke
Außerdem, argumentiert die Initiative, hätten die Verbesserungen am Kraftwerk nichts genützt. Sie dokumentiert das mit einer Liste von Tagen, an denen in Wedel Partikel gefunden wurden und die in den vergangen Jahren immer länger wurde. Dass überhaupt aggressive Partikel austräten, entspreche „nicht dem Stand der Technik für Großfeuerungsanlagen“, schreibt ein anderer von der Initiative bestellter Gutachter in einer Stellungnahme.
„Als die Stellungnahmen fertig waren, hat unser Anwalt gesagt: Jetzt reicht’s“, erinnert sich Initiativen-Sprecherin Lueckow. Der Eilantrag sei notwendig geworden, „weil hier unfassbare Zustände herrschen“. Seit einem Jahr würden die Körnchen, die die Anwohner von ihren Autos sammelten, immer ätzender. Sie seien so sauer, dass sie das Auge verätzen könnten – eine Behauptung, die das LLUR bestreitet.
Auch Wärme Hamburg verweist auf die Gutachten des LLUR und bestreitet, dass es eine Gesundheitsgefahr gebe. Das Kraftwerk halte die Grenzwerte ein. „Es gibt also keinen Grund für Betriebseinschränkungen“, sagt Stefan Kleimeier, Sprecher von Wärme Hamburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs