Sauberkeit in der Berliner U-Bahn: Schleim und Streifen
Die BVG schickt „Reinigungsstreifen“ los, um die U8 sauberer und sicherer zu machen. Gut, schlecht oder einfach unbezahlbar?
Auf dieser Treppe stand er im ersten Pandemiejahr mal hinter jemandem, der aufs Maskentragen verzichtete, um sein Morgenbier ungestört verzehren zu können. Plötzlich gurgelte der Mann genüsslich einen dicken Schleimbrocken hoch und spuckte ihn neben den Handlauf. Wie’s aussieht, kleben die Reste noch heute dort.
Angesteckt hat er sich damals nicht, denkt der Autor, aber solche Momente haben seine Perspektive auf das Thema Sauberkeit dann doch geprägt. Das Auto galt damals ohnehin wieder als das Verkehrsmittel der Wahl – und wie soll man dagegenhalten, wenn Respekt im ÖPNV keine Grundkonstante ist?
Die Pandemie ist vorbei, heute sind die Probleme auf manchen U-Bahn-Linien mehr ästhetischer Natur – und die Unsicherheit ist eher eine gefühlte. Sagt auch Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), die mit dem Regierenden Bürgermeister auf Einladung der BVG zur Hermannstraße gekommen ist: „Unser ÖPNV ist statistisch gesehen ein sicherer Raum, aber er wird von vielen anders wahrgenommen.“
Und noch mal hat sie recht: „Wenn wir wollen, dass immer mehr Menschen auf Busse und Bahnen umsteigen, müssen sie sich dort auch wohlfühlen.“ Schreiner sagt das auf dem Bahnsteig, wo sich BVGlerInnen in Sonntagsuniform, Sicherheits- und Reinigungskräfte um die Politikprominenz und den BVG-Vorstand drängeln.
Kotti nass gereinigt
Dessen neuer Chef Henrik Falk präsentiert seine neue Geheimwaffe gegen Schmuddel: die „Reinigungsstreife“. Drei Monate lang sollen Putz- und Security-Teams praktisch nonstop zwischen Hermannstraße und Jannowitzbrücke unterwegs und für maximal drei Bahnhöfe zuständig sein. Unter anderem am Kotti werden die Bahnsteige täglich „nass gereinigt“.
Prekarisierte Menschen wolle man dabei „nicht einfach verdrängen“, betont Falks Kollege Rolf Erfurt: „Es ist ja nichts gewonnen, wenn Probleme auf die Straße verlagert werden.“ Man sei schon mit vielen sozialen Trägern im Gespräch, so Erfurt, „und da müssen wir noch eine Schippe drauflegen“.
700.000 Euro kostet das Pilotprojekt, dann wird evaluiert. Ob sich die BVG einen radikalen Mentalitätswandel erhofft? Eine Art umgekehrte Broken-Windows-Theorie? Dass sich das Unternehmen die Super-Sauberkeitsbestreifung netzweit und dauerhaft leisten kann, ist kaum vorstellbar.
Zumal es noch ganz andere Probleme gibt, etwa den Mangel an Pünktlichkeit und FahrerInnen. Wie die Protestierenden von Verdi und Fridays for Future sagen, die am Ende des Bahnsteigs ein Transparent hochhalten: „So eine Sauberkeitskampagne ist viel zu wenig – der Bus muss fahren!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe