Sanssouci: Vorschlag
■ Lieben Sie Brahms?
Er nicht: „Ein Beckenschlag von Liszt ist mir lieber als eine Symphonie von Brahms“ (Hugo Wolf). Er auch nicht: „Ein Popanz, eine lächerlich überschätzte Größe“ (Romain Rolland). Er ist nicht sicher: „Er arbeitet vortrefflich mit Einfällen, die er nicht hat“ (ein Kritiker). Er schon: „In ein paar Takten ist das Tiefste gesagt, was Musik sagen kann“ (ein Biograph). Auch der Dirigent Eduardo Maturet wird wissen, warum er beim Konzert der Berliner Symphoniker am Sonntagnachmittag Brahms aufs Programm gesetzt hat (Violinkonzert op. 77 mit Borika van der Booren und 4. Sinfonie, op. 98). Gelegenheit also, die vor 100 Jahren so bedeutsame Frage aus eigener Anschauung zu beantworten.
Schauplatz Wien, das Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. In der Hauptstadt der europäischen Musik artet der Versuch, eine zeitgemäße musikalische Ausdrucksweise zu entwickeln, bisweilen zur Provinzposse aus. Unvereinbar stehen sich die gegnerischen Parteien gegenüber: Wagner auf der einen Seite, Brahms auf der anderen. Hinter beiden steht jeweils (gebeten oder ungebeten) eine Schar von Apologeten, die im Streit der Ideologien munter aufeinander einschlagen. Wagner sieht in seinen monumentalen Musikdramen die einzigen tatsächlich richtungsweisenden Kompositionen seiner Zeit, reine Instrumentalwerke interessieren ihn als Komponisten kaum. Dafür bemüht sich sein Verehrer Bruckner, auf dem Gebiet der Symphonie im Geiste des großen Maestro zu komponieren.
Nach Wagners Auffassung gehört zu jeder Musik ein ihr zwar innewohnender Gehalt, der seiner Natur nach jedoch außermusikalisch ist. So könne eine Idee, ein Programm, jederzeit durch Musik ausgedrückt werden. Brahms dagegen lehnt genau dieses Konzept kategorisch ab und bezeichnet es als „dem inneren Wesen der Musik zuwider“. Für ihn ist die Musik eine absolute Größe. Sie drückt zwar in irgendeiner Weise Stimmungen aus, aber konkrete Gefühle oder gar Ideen sind nicht durch Musik vermittelbar. So ist natürlich auch die Ästhetik eine andere: der Form, der Verarbeitung der Themen gilt das Hauptaugenmerk. Damit gilt Brahms im Vergleich zu Wagner bis heute als konservativ. Schönberg hat zwar auch „Neuerungen“ bei Brahms erkannt, doch was die Form etwa der Orchesterwerke betrifft, so ist Brahms ganz klar an Beethoven orientiert. Im Violinkonzert zeigt sich das schon in der traditionellen Dreisätzigkeit. Auch der 1. Satz erinnert in der Anlage stark an Beethoven. Dem mittleren Satz, einer ruhigen Serenade, folgt in Rondo-Form, bei der das Thema immer wiederkehrt, das furiose Finale, das der Virtuosität der Solistin einiges abverlangt. Die 4. Symphonie zeigt nun den eher düsteren, verschlossenen Brahms. Vor allem im 1. und im 4. Satz werden die Themen in einer Dichte verarbeitet, die fast eine Überfülle von Eindrücken erzeugt. Ein Zeitgenosse zum 1. Satz: „... als ob ich von schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.“ Helmut Krähe
Sonntag, 31.1., 16 Uhr, Philharmonie, Kulturforum
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