Sanierung mal anders: Müllberg soll Altlasten zudecken
Im niedersächsischen Godenau sollen chemische und historische Altlasten entsorgt werden – indem ein Schuttberg draufgesetzt wird.
„Auf diesem Gelände darfst du viel machen“, sagt Bernd Beushausen, Alfelds Bürgermeister (SPD), mit bitterem Humor. „Nur eins nicht: Mit dem Spaten ein bisschen tiefer in den Boden rein!“ Er lacht ein bisschen. Den Spruch kenne hier jeder. „Rund 150.000 Tonnen Erdreich sind hier verseucht. Durch viele Schadstoffe, aus vielen Jahrzehnten.“
Kurz nach 1900 entstand hier ein Kali-Bergwerk; seine Schächte Desdemona I und II existieren bis heute. Anfang der 1930er übernahm die Wehrmacht die Anlage für eine unterirdische Munitionsfabrik. Später wurde hier recycelt. Was dabei alles in den Boden gelangte, ins Grundwasser, fast 100 Jahre lang? Niemand weiß es genau. Saniert wurde nie.
Das soll sich jetzt ändern. Das Problem: Der derzeitige Eigentümer des Desdemona-Geländes, das Abbruch-, Tiefbau- und Transportunternehmen Maja aus Rehburg-Loccum, das hier einen Steinbrecher betreibt, kann die 5 bis 7 Millionen Euro Sanierungskosten nicht aufbringen. Und der Landkreis Hildesheim, der finanziell einspringen müsste, hat „ein Interesse daran, dass die Sanierung durch Dritte und nicht durch die öffentliche Hand erfolgt“, teilt seine Sprecherin Birgit Wilken auf taz-Anfrage mit. Ist ja auch billiger so.
Belastend für die Anwohner
Die Lösung: Das entsorgungspflichtige Erdreich soll einfach überdeckt werden. Durch 786.000 Tonnen größtenteils schadstoffbelastetes Material der Umweltdienste Kedenburg aus Hildesheim, die hier in Arbeitsgemeinschaft mit Maja einen 400 Meter langen, 100 Meter breiten und 11 Meter hohen Berg errichten will aus mineralischen Abfällen und Reststoffen, Verwertungsklasse Z2. Deckschicht drüber, fertig.
Es werde sich „ortstypischer Bewuchs einstellen“, sagt der Landkreis. Am Ende sei das Ganze „von einer ‚natürlich‘ entstandenen Bodenerhebung kaum noch zu unterscheiden“. Fünf Jahre würde die Aufschüttung dauern, mit rund 79.000 LKW-Fahrten, teils durch enge Wohnstraßen: belastend für die Anwohner, lukrativ für die beteiligten Unternehmen.
Eine Sanierung im klassischen Sinn ist das nicht. „Da entstünde eine neue Deponie“, sagt Beushausen. Gut, sie habe, sagt der Bürgermeister mit hörbarer Skepsis, „auch sanierenden Charakter“, denn eine Überdeckung würde verhindern, dass Regen die Altverseuchung weiter ins Grundwasser auswäscht. Aber es käme eine neue Belastung hinzu. Und an die Altlasten käme niemand mehr ran.
Beushausen ist machtlos. „Weder der Rat noch die Verwaltung der Stadt haben über eine Genehmigung des beantragten Vorhabens zu entscheiden“, sagt er. „Diese Kompetenz liegt ausschließlich beim Landkreis Hildesheim.“
Aus Frustration hat der Rat seiner Stadt Ende Oktober 2020 einstimmig eine Resolution verabschiedet. Eine neue Deponie sei „nicht dazu geeignet, die gesetzliche Sanierungsnotwendigkeit zu erfüllen“, steht da. Umwelt- und damit Bevölkerungsschutz habe Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Ein Märchenland sind die Sieben Berge, der Höhenzug, in dem auch Godenau liegt, also nicht.
In der Resolution erklärt sich Alfeld „solidarisch“mit der Bürgerinitiative „Keine Altlasten im Leinetal“ (Kail). Die wiederum spricht von einem „Giftmüllberg“, einer „Mogelpackung“, von „ökologischem Wahnsinn“. Und ihre Widerstandskampagne gibt sich nicht damit zufrieden, dass Sprüche stehen wie: „Kein 8. Berg! Kein weiterer Dreck! Das GIFT muss weg!“,
„100 Jahre lang wurde hier umweltmäßig total rumgehurt!“, sagt Kail-Sprecher Guido Franke. „Asbest, Ölschlamm, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe! Radioaktive Salzlake aus der Asse ist runter ins Bergwerk gekippt worden! Dazu die Schadstoffe aus der Kali- und Munitionsproduktion!“
Bernd Beushausen, SPD Bürgermeister von Alfeld
Alle Suchaktionen und Beprobungen seien „viel zu oberflächlich“ gewesen. Schrottautos sollen hier im Boden liegen, Motoren, Fette, Kühlschränke, Lackfarben, Treibstoffreste. „Wenn man das mal alles untersucht, muss vermutlich noch viel, viel mehr ausgekoffert werden.“
Zudem, sagt Franke, habe es in Wehrmachtszeiten hier ein Zwangsarbeiterlager gegeben. „Wenn die beantragte ‚Sanierung‘ genehmigt würde, bedeutet das nicht nur eine Abdeckung einer Altlast mit belastetem Material, hier würde auch noch gleich die Erinnerung an ein verbrecherisches System und dessen Taten mit verschüttet.“
Aber auch, wenn der Entsorger Kedenburg nicht zum Zuge kommt und der Landkreis die Sanierung selbst bezahlt: „Auf die Anwohner“, sagt Beushausen, „kommt in jedem Fall eine Riesenbelastung zu. Das kontaminierte Erdreich muss ja abtransportiert werden, frisches Erdreich nachgefüllt.“ Auch Kail will eine nachhaltige Sanierung. Sonst drohe „eine hochgradige Verschmutzung des Grundwassers und somit eine akute Gefährdung des gesamten Ökosystems der Leine“.
Online-Petition beim Landtag
Mitte Januar hat Kail einen großen Erfolg erzielt. 5.600 Unterschriften kamen zusammen für eine Online-Petition beim Landtag in Hannover – die Leine, mitsamt der Godenau-Schadstoffe, fließt direkt an ihm vorbei. Am 24. März hat die Initiative die Möglichkeit, ihr Anliegen im Landtag vorzustellen und mit den Abgeordneten zu diskutieren. Ein „Aus den Augen, aus dem Sinn“, so die Petition, dürfe es nicht geben.
Aufschiebende Wirkung hat die Petition nicht. Beim Landkreis Hildesheim läuft derzeit das Genehmigungsverfahren. Es handele sich, sagt Wilken, „nicht um die Einrichtung einer Deponie“, sondern „um eine Maßnahme zur Sicherung eines Altstandortes“. Eine „hochgradige Verschmutzung“ sei nach Einschätzung der Kreisverwaltung „nicht gegeben“.
Und Kedenburg? Die Hildesheimer Bettels-Gruppe, mit der sich Kedenburg den Geschäftsführer Knut Bettels teilt, schweigt, von der taz um Stellungnahme gebeten. Bettels nimmt für sich „absolute Nachhaltigkeit“ in Anspruch.
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