Salzburger Festspiele: Frische "Hasen" aus dem Osten
Es steht nicht gut um die bürgerliche Moral: Die Performancegruppe Signa lädt in "Das ehemalige Haus" ein, Thomas Ostermeier inszeniert Shakespeares "Maß für Maß".
Kann Salzburg hässlich und langweilig sein? Der Stadtteil Maxglan ist eine Antwort, aber keineswegs die dringlichste auf diese Frage. Auf dem Friedhof liegt der Großvater von Thomas Bernhard. Das war's dann schon. Denkt man die Berge weg, könnten die nicht mehr ganz neuen Einfamilienhäuser verkehrsberuhigt am Rande jeder Stadt stehen.
Doch etwas stimmt nicht, in einem der Vorgärten ist eine ganze Altkleidersammlung ausgebreitet. In der Nachmittagshitze patrouillieren Männer mit schwarzen Krawatten davor. Security? Bestattung? Es sind nur Logenschließer vom Landestheater. Ja, die Festspiele sind hier. Ein Häuflein von kaum mehr als einem Dutzend Zivilisten formiert sich zur Expedition in "Das ehemalige Haus".
In der Programmschiene "Young Directors Project" dürfen auch exponiertere künstlerische Positionen am Salzburger Großen Welttheater teilhaben. Eine stumme Person mit Stahlhelm und Pistole im Halfter bugsiert das Publikum in Reih und Glied, ein feistes halbnacktes Teufelchen (Steven Reinert) empfängt mit Apfelstrudel, Milch und anzüglichen Freundlichkeiten. Mal eben angespuckt möchte er werden und bekommt das auch.
Die Zivilgesellschaft läuft wie am Schnürchen. Das kurze Intro enthält im Kern schon, was die Theaterinstallationen von Signa, Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson ausmachen: Wenn das, was man sieht, real wäre, wäre es Gewalt und unerträglich. Je mehr man aber davon sieht, um so weniger beruhigt der Umstand, dass es "nur Theater" ist.
Der Stahlhelm schubst die Zuschauer nun in Kleingruppen zusammen und übergibt sie von Tauen umwickelten Erinnyen. In Dreier- bis Viererseilschaften geleiten sie durch ein Totenhaus, abgebrannt sei es, um in kurzen Episoden wachzurufen, was der Brand getilgt hat. Der Mief und die Stockbetten im Keller lassen an die Berichterstattung zum Fall Fritzl denken und werfen die Frage auf, ob man, solange Menschen in Kleinfamilien und in solchen Häusern leben, vor Wiederholungen je sicher sein kann.
Der Rotlichtpate
Die Fährte ist gut gelegt. Eine Mutter und drei Söhne. Die Erinnyen nehmen ihnen für ein paar Atemzüge die Totenmasken ab. Sie (Helga Sieler) durchlebt die Vergewaltigung im Zweiten Weltkrieg täglich neu, zwei jüngere Söhne sind vom Vater blöd geschlagen, der älteste, das Vergewaltigungsresultat, dagegen ist Rotlichtpate von Salzburg (Klaus Unterrieder) geworden. Tatjana (Signa Köstler) hat er nur geheiratet, damit er jemand für Mutters Bettpfanne hat. Der ölige Zuhälter, der von den glorreichen Vorzeiten des Wiener Milieus schwärmt, erzählt Geschichten vom "Leben" mit Schmäh und rollendem L, die in deutschen Ohren so charmant klingen. Zwei Trucker (Michael Behrendt und Dominik Klingberg) bringen ihm frische "Hasen" aus dem Osten und richten sie im Keller gleich ab. Es setzt Koks, Wodka, Schläge und sexuelle Demütigungen, dazwischen ein Entspannungszigarette mit dem Publikum.
Auf Fotos werden Frauen zum Kauf angeboten, sexuelle Vorlieben des Publikums inquisitorisch erfragt. Signa verzichten auf jegliche Zeige-Distanz, sie betreiben im Grunde Einfühltheater alter Schule. Was für ein 1.000-Plätze-Auditorium reichen würde, springt auf eineinhalb Metern die Zuschauer an und raubt die Muße zum Romantischglotzen. Wo wäre der Punkt zum Eingreifen gewesen, und hätte man es tatsächlich getan? "Das ehemalige Haus" ist kathartisch und didaktisch zugleich, ein Thesenstück im besten Sinn. Es weiß jeden Moment, warum es die Welt adressiert.
Letzteres lässt sich von Thomas Ostermeiers "Maß für Maß"-Inszenierung im Salzburger Landestheater nicht behaupten. Für zweieinhalb Stunden hält sie nur vorübergehend vom Socializing in den benachbarten Terrassenlokalen an der Salzach ab. Auch der Herzog Vincentio von Gert Voss würde wohl lieber wie sonst ins Maxim gehen, Shakespeare schickt ihn aber als Mönch unters Volk. Shakespeare spottete der neuen Moral des zur Macht drängenden Bürgertums, das noch seine Lüste auf die Sparkasse trägt, der Zinsen wegen. Der tugendhafte Stellvertreter im imaginierten Wien, Lord Angelo (Lars Eidinger), frevelt selbst. Dann wird abgerechnet, Gleiches mit Gleichem vergolten.
"Bitte" gereimt auf "Titte"
Marius von Mayenburgs Fassung reimt "Bitte" auf "Titte" und erzählt die Fabel als papiernes Gedankenexperiment, ohne Gesellschaft, ohne Belang. Fleischlose Kost, auch wenn von Jan Pappelbaums Kronleuchter eine echte halbe Sau herabhängt. Nur Lars Eidingers Tugendeiferer ätzt bis in tiefere Hautschichten. Er lässt eine Ahnung aufkommen, welchen Preis das bürgerliche Subjekt einst für sich selbst bezahlt hat.
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