: Salus sanum
Fachhochschulprofessor Eberhard Göpel über ein spirituelles Vakuum und das Salutive-Konzept
taz: Woran krankt unsere Gesellschaft eigentlich?
Eberhard Göpel: Unsere Kultur ist angstvoll krankheitsorientiert. Die Menschen wollen wissen, wie ein individuelles Leben in einer globalen Gesellschaft in einer solidarischen Form gelingen kann. Sie werden dabei sowohl von dem kirchlichen wie dem medizinischen Klerus als auch von der Kaste der Wissenschaftler und der Berufspolitiker ohne überzeugende Antworten gelassen. Stattdessen organisieren globale Konzerne ihre Vorstellungen von „Lebenswissenschaften“ als biotechnologische Endlösung aller Übel und garnieren ihr Geschäft mit der Aussicht auf ewiges Leben und maximale Aktiengewinne. Diese Situation ist politisch hoch brisant.
Was wollen Sie mit Ihrer Initiative erreichen?
Die Einsicht in die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit individuellen Lebens kann eine existenzielle Solidarität zwischen den Generationen, den Geschlechtern und Menschen unterschiedlicher Kulturen erzeugen. Das Gesundheitsmotiv, also der Wunsch, als Mensch nicht mehr leiden zu müssen als notwendig, kann zur Grundlage einer weltlichen Zivilreligion und einer nachhaltig-solidarischen Lebenskultur werden. Gesundheitsförderung bedeutet dabei gleichermaßen Anleitung zur Lebenskunst wie zur Verantwortung für die sozialen, kulturellen und ökologischen Voraussetzungen eines gelingenden Lebens. Sie wird zur künftigen Allgemeinbildung und hilft bei der Entrümpelung schulischer Fächerkataloge, weltfremder Studienanforderungen, bei anhaltender Abhängigkeit von Expertenautorität und beim mentalen Schutz vor kommerziellem Werbeschwachsinn.
Was sind die wichtigsten Ziele des Salutive-Konzeptes?
Gesundheitsbildung ist ein Teil der öffentlichen Kultur. Diese ist in Deutschland gegenwärtig durch die Tatsache gekennzeichnet, dass die Etats für Alkohol-, Zigaretten- und Süßwarenwerbung zum Beispiel mehr als 100 mal so groß sind wie die gesamten Aufwendungen von Bund und Ländern im Bereich der Gesundheitsförderung. Wir haben dadurch eine öffentliche Dominanz oraler Schluck-, Lutsch- und Sauf-Aufforderungen, die wesentlich an der allgemeinen Sucht- und Krankheitsentwicklung beteiligt sind. Der medizinische Reparaturbetrieb profitiert davon enorm. Mit dem Salutive-Konzept zeigen wir Wege aus diesen morbiden Profitkreisläufen auf und machen Vorschläge, wie eine gesellschaftliche Umsteuerung aussehen kann.
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