Salman Rushdie in Berlin: Kein Gott, kein Staat, viel Kaffee
Salman Rushdie sprach im Haus der Berliner Festspiele ein bisschen über sein neues Werk. Viel mehr Redezeit widmete er jedoch der Weltlage.
Salman Rushdie hat zwar die Erkältungswelle erwischt, aber er ist dennoch gut in Form. Nur die Pointen klingen etwas nasaler als sonst. „Ich weigere mich, den IS einen Staat zu nennen, denn er ist kein Staat“, sagt der 68-Jährige, auf dem Podium des Hauses der Berliner Festspiele sitzend. „Nennen wir sie doch einfach Bastarde.“
Der Abend ist schon fortgeschritten, man befindet sich mitten in einer Debatte über die Genese des gegenwärtigen islamistischen Terrors. Es wird einem bewusst, dass es in diesen Tagen doppelt wertvoll ist, wenn eine Person wie Rushdie sich kämpferisch und angriffslustig gibt. Immer wieder brandet Applaus auf.
Gut eine Woche nach den Ereignissen von Paris stellt der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie, seit Jahrzehnten eine der meistgehassten Figuren der islamischen Welt, am Samstagabend seinen neuen Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ in Berlin vor – und die eigentliche Premiere wird dabei zur Nebensache.
Nicht nur, weil man doch hin und wieder Hintergedanken an Paris hegt, während man im fast voll besetzen Saal sitzt, oder sich dabei erwischt, wie man über die Gefährdungslage sinniert. Auch, weil man gespannt ist, wie Rushdie, über den nach Veröffentlichung seines islamkritischen Buchs „Die satanischen Verse“ 1989 im Iran eine Fatwa verhängt wurde und wegen dessen Auftritt bei der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt das Mullah-Regime Verlage zurückpfeift, auf den zweiten Anschlag in Paris binnen elf Monaten reagieren würde.
Über Krieg zwischen Religion und Vernunft
In dunklem Anzug gekleidet, mit der Geste eines gewitzten Professors stellt Rushdie dabei fest, dass „die Lebensfreude selbst zum Feind der Terroristen geworden ist“ (“Happyness itself is the enemy“). Auch er glaubt, dass man sein Lebensmodell am besten verteidige, indem man im Alltag so weiterlebe wie bisher: „Der beste Hashtag zu Paris war ‚#JeSuisEnTerrasse‘“, sagt er, „wir sitzen weiter in den Cafés“ – so müsse man dem Terror begegnen. Nachdem Charlie Hebdo im Januar angegriffen worden war, hatte Rushdie gesagt: „Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird, wenn sie mit modernen Waffen kombiniert wird, zu einer echten Gefahr unserer Freiheiten.“
In Rushdies kürzlich erschienenem Roman, über den die Moderatorin Johanna Adorjan (FAS) zu Beginn des Abends mit dem Schriftsteller spricht, geht es auch um einen Krieg zwischen Religion und Vernunft – der aber ist verpackt in eine überdreht-surreale Fiktion, in der die islamischen Fabelwesen der Dschinn in das irdische Leben eingreifen (und jede Menge Sex haben, auch mit den merkwürdigen menschlichen Wesen, auf die sie dort stoßen), in der die Grundordnung und das Grundverständnis der monotheistischen Religionen genüsslich durcheinander gewirbelt wird. Gleichzeitig spielt „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ – macht zusammen 1001 Nacht – eben auf den Erzählungsklassiker der arabischen Welt an.
„Full of crazy stuff“ seien diese Erzählungen, meint der Autor selbst – und liest sogleich einige Passagen daraus auf Englisch, während der Schauspieler Tom Wlaschiha längere Auszüge auf Deutsch vorträgt –, er liest gut, ab und an ein bisschen zu kühl – professionell. Spannend sind auch die Gespräche über den Entstehungsprozess des Romans, der wie viele Vorgängerwerke des Autors religiösen Fanatismus und Totalitarismus als zentrales Problem der Gegenwart beschreibt.
Rushdie sagt, als er vor vier Jahren angefangen habe zu schreiben, habe man Isis in erster Linie für eine ägyptische Göttin gehalten – in der Zwischenzeit habe die Realität die Fiktion eingeholt. Die Geschichten aus 1001 Nacht habe er schon als Kind von seinem Vater vorgelesen bekommen – dass sie so reichhaltig seien, dass es darin auch mal um Menschliches, Allzumenschliches wie Fürze gehe, habe ihn schon immer dafür eingenommen.
Albern und analytisch
So switcht der in Erzähllaune mittig auf der Bühne sitzende Rushdie gekonnt zwischen Albernem und Politisch-Analytischem, kapituliert ganz sicher nicht vor den Dschihadisten, aber davor, ihre Motive rational nachvollziehen zu können: „Ich verstehe nicht wirklich, warum im Westen lebende Menschen, so niedergeschlagen sie auch immer sein mögen, sich dem anschließen“, sagt er, „besser als in Mossul ist das Leben hier ganz sicher.“
Nach anderthalb Stunden Lesung ist die Stimmung gelöster, trotz langer Schlangen an der Garderobe – es war vorgeschrieben, Jacken und Taschen abzugeben – freute man sich, dass wieder etwas Normalität einkehrt. Die eine oder der andere mögen noch zur Signierstunde gepilgert sein. Moderatorin Adorjan wies kurz noch darauf hin: Jeder nur ein Autogramm, möglichst nur auf Papier, und nicht auf Unterarme. Wobei, denkt man da so bei sich, so ein geschwungener Rushdie würde sich in diesen Tagen auch ganz gut auf der Haut machen.
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