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Säumniszuschlag bei KrankenkassenBahr will Wucherzinsen abschaffen

Wer seine Krankenkassenbeiträge nicht rechtzeitig zahlt, muss mit 60 Prozent Zinsen rechnen. Der Gesundheitsminister will säumige Versicherte entlasten.

Mag keine hohen Zinsen: Daniel Bahr. Bild: dpa

BERLIN dpa | Wer aus finanzieller Not seine Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr bezahlen kann, dem winkt Entlastung. Um die Betroffenen nicht noch tiefer in die Verschuldung zu treiben, sollen ihnen Wucherzinsen künftig erspart bleiben. Dazu wird der Säumniszuschlag von derzeit fünf auf ein Prozent im Monat gesenkt. Diesen Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) billigte das Bundeskabinett am Mittwoch. In der Kreide stehen mehrere hunderttausend Versicherte.

„Wucherzinsen von 60 Prozent im Jahr - das war einfach zu viel“, begründete Bahr vor der Kabinettssitzung die Neuregelung im ARD-Morgenmagazin. Bei den gesetzlichen Kassen belaufen sich die Zahlungsrückstände auf fast 2,2 Milliarden Euro. Für in Rückstand geratene Privatversicherte ist ein sogenannter Notlagentarif vorgesehen. Bei ihnen haben sich die Zahlungsrückstände auf geschätzte 500 Millionen Euro angehäuft.

Das Gesetz bedarf nach Darstellung des Gesundheitsministeriums nicht der Zustimmung des Bundesrates. Das Problem der Nichtzahler bekam 2007 mit der Einführung der Versicherungspflicht für alle Bürger eine neue Dynamik. Vor allem viele kleine Selbstständige können ihre Beiträge nicht zahlen.

Die Neuregelung soll nach Bahrs Vorstellungen den Betroffenen die Rückkehr in reguläre Tarife der gesetzlichen oder privaten Kassen ermöglichen. Bei Versicherten in Notlagen hätten sich aber „so hohe Beitragsschulden aufgehäuft, dass die oft gar nicht mehr die Möglichkeit haben, davon runter zu kommen und wieder in ihren normalen Krankenversicherungsschutz zurückzukehren“, sagte der Minister. Das aber müsse das Ziel sein.

Positives Echo bei den Gesetzlichen

Der Beschluss stieß bei den gesetzlichen Kassen auf ein positives Echo: „Nun werden die Verhältnisse geradegerückt und wir sind froh, dass die gesetzliche Vorgabe zu solchen Extremzinsen korrigiert werden soll“, sagte der Sprecher des Kassen-Spitzenverbandes, Florian Lanz.

Der Kassen-Branchenführer Barmer GEK gab zu bedenken, dass durch die geplante Gesetzesänderung „das Hauptproblem der Bestandsschulden nicht gelöst“ werde. Eine Überdramatisierung des Problems ist nach den Worten eines Sprechers aber Fehl am Platz, da mehr als 99 Prozent der Kassenmitglieder pünktlich zahlten.

Der Notlagentarif für säumige Privatversicherte sieht vor, dass die Versicherung nur noch die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzen sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft aufkommt. Bis zu 25 Prozent der Prämie sollen aus der angesparten Altersrückstellung des Versicherten bezahlt werden. Dies aber dürfte die Prämien der Betroffenen im Alter wiederum verteuern.

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9 Kommentare

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  • F
    Friedrich

    Aus einer finanziellen Notlage heraus war ich auch

    zeitweise nicht in der Lage, meine Beiträge zu entrichten. Daher ergibt sich eine Schuld, bei der

    die Säumniszuschläge um ein Vielfaches höher sind, als der ursprüngliche Beitrag.

    Welche Berechtigung gibt es für dieses m.E. sittenwidrige Verhalten. Es reichen doch auch die

    Mahngebühren.

    Nun will meine Krankenkaase diese offenen Beträge

    über meinen Rententräger eintreiben.

    D.h., meine Rente wird um 50 % gekürtzt.

    Alles möglich durch Sozialgesetzgebung in unserem Sozialstaat.

    Nehm ich jetzt die Kugel, das Gas oder den Strick ?

    Somit ein Rentner weniger.

    .

  • E
    Erni

    Beitragsrückstände sind Schulden. Werden Schulden mit 60% verzinst, dann ist das eine profitable Form von Sterbehilfe.

    Es führt zur Vernichtung des Schuldners durch Zinsen. Das ist seit Jahrhunderten bekannt.

    Umgekehrt, führt es zur Bereicherung derer, die von dieser Verzinsung profitieren.

     

    Wenn ich lese: Deutsche Krankenkassen haben mit Beitragsrückständen in Milliardenhöhe zu kämpfen, dann wird hier etwas verwechselt.

    Nicht die Krankenkassen kämpfen mit den Schulden, sondern die Schuldner kämpfen mit den Raten, die sie nicht mehr bezahlen können.

     

    Der Vorstandsvorsitzende der AOK PLUS, Rolf Steinbronn, hatte vor Inkrafttreten dieser Regelung, angeblich keinen Einfluss auf die Legislative. Wie kann es sein, dass ihm diese Einflussnahme jetzt gelingt? Wird es langsam unanständig?

     

    Auf den Sockelbetrag, der dem Versicherungsbeitrag zu Grunde liegt, hatten die Versicherungsunternehmen sicher ebenso keinen Einfluss. Über 1000 € würden viele, kleine Selbstständige gern monatlich verdienen. Hier bietet sich die Frage an: Wem nützt diese Festlegung?

     

    Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), sieht in einer 12%igen Verzinsung jetzt ein "vernünftiges Maß" und „ausreichenden Anreiz, die Versicherungsbeiträge zu bezahlen". 60% waren zum damaligen Zeitpunkt offenbar ebenfalls ein "vernünftiges Maß" und 12% Zinsen, sind auch jetzt noch recht sexy. Von ihm darf man annehmen, dass er Einfluss auf die Legislative hat. Waren 12% Zinsen das Ziel?

     

    Woher kommt dieser Sinneswandel? War diese Regelung im SGB jetzt ein 5 Jahre währendes Testprogramm, - ein Betriebsunfall, - eine Betaversion?

     

    Das verleitet mich zu Plattitüden wie, -was rauchen Sie da auf der Chefetage eigentlich,- wo bekommt man das Zeug, -was kostet das, -und wie viel braucht man davon, wenn man ca. 78 Kg wiegt, - gibt’s Rabatt, wenn man mehr davon nimmt und geht das auch mit Dosenbier?

     

    Es handelt sich um mehr als 100000 betroffene Menschen, deren Konten gepfändet sind. Diese Pfändungen gehen weiter. Der Versicherungsschutz der betroffenen ist auf “ruhend“ gestellt.

    „Ruhend“ meint: Nur eine Schmerzbehandlung wird von den Versicherungen bezahlt. Das wiederum heißt für die davon Betroffenen: Stirb schmerzfrei und mach‘ dabei keinen Lärm.

  • M

    Plünderung durch den Gesetzgeber, aber Steuersünder werden gestreichelt. Wie wäre es denn z.B. Herrn Hoeneß mit 5%/Monat zu überziehen?

  • T
    Tom

    Der nun verbleibende Zins von 12 Prozent p.a. ist immer noch Wucher!

     

    Erst (auch die vielen staatlich subventionierten Scheinselbstständigen) Leute in die Versicherungsfänge zwingen, wo sie dann wegen absehbar mangelnder Einnahmen in die Zinsfalle der Versicherer tappen. Dass der Staat sowas eingeführt hat, zeugt von der Moral der Machthabenden. Schäbig!

  • KH
    Karin Haertel

    Dieses Benehmen kann man nur sittenwidrig nennen. Diese Menschen befinden sich bereits in einer Zwangslage, die durch solche Wucherzinsen nicht verbessert sondern verschlimmert wir.

  • L
    Lilia

    Bahr und die bundesregierung müsste dringendst noch abschaffen:

     

    1. Die fatale wohl von Rot-Grün eingeführte Fallpauschalenvergütung in den Krankenhäusern, die zu ungeheuer vielen unnötigen (!) teuren Operationen an PatientInnen führen, die oft auch noch die Gesundheit der menshen ruiniert. Die Medien sind voll davon. Es gleicht offenbar inzwischen einem Roulette- Spiel, ob man an einen seriösen Arzt gerät, der nicht aus Geldgier Körperverletzung begeht.

     

    2. Hartz-Iv-Betroffene und Grundsicherungsberechtigte müssen sich die medizinische Behandlung endlich leisten können.

     

    Sie brauchen u.a. Zuschüsse für Medikamente. Das kann man leicht durch die eingesparten zahlreichen unnötigen Operationen finanzieren !

  • L
    leon

    Irgendwie ist es schon seltsam, dass

    man von diesen 60% Wucherzinsen für säumige

    Krankenkassenbeitragszahler erst erfährt,

    wenn diese zurückgenommen werden.

     

    Auch ein Unrecht gegenüber 1% der Beitragszahler

    bleibt ein Unrecht.

    Die Forderungen aus von 60% Zins gehören auch

    rückwirkend auf maximal 10% Zins ab dem Jahr

    2007 korrigiert.

    Der Rest sollte als Vorauszahlung der Beiträge

    einbehalten werden, um wenigstens hier nun

    Sicherheit zu haben.

    Es kann nicht sein, dass

    diese Machenschaften im Nachhinein legalisiert

    bleiben und nur fortan abgeschafft werden.

     

    Das die Medien dies nicht früher schwerpunktmäßig

    medienwirksam publizierten, läßt auf den gravierenden Verfall des deutschen Qualitätsjouranlismus schließen!

     

    Wahrscheinlich haben viele Journalisten selbst Angst Opfer der Versicherungsmafia zu werden

    oder wollen nicht über die finanzielle Misere

    ihrer eigenen freien Mitarbeiter und Kollegen

    berichten, um nicht das Armutsstigma übergehängt

    zu bekommen.

  • A
    Ant-iPod

    Eine Überarbeitung ist Anhand der bisher angehäuften "Außenstände" sicher überfällig gewesen. Die Reform des Ministers geht vielleicht nicht ganz in die falsche Richtung, aber das Problem wirklich lösen hilft sie nicht.

     

    1. Wer bisher nicht eingezahlt hat, weil er kein Geld hat, behält seine überproportionalen Schulden und diese werden auch so wachsen... um mindestens 12 Prozent pro Jahr, wenn er ab jetzt seine Beiträge zahlen könnte... wenn nicht, sogar um mehr...

     

    Einen günstigeren Privatkredit wird er/sie wohl nicht bekommen... die Armut zieht also auch noch höhere Zinsen mit sich... wer Geld hat, kann sich billiger Geld leihen... krasses System, oder?

     

    2. Der angedachte "Nichtzahlertarif" entlastet zwar in gewisser Weise die Versichertengemeinschaft, vor allem aber die Versicherungsunternehmen, da diese keine Altersrückstellungen mehr für den säumigen Personenkreis bilden müssen.

    Die notwendige Folge sind höhere Beiträge, sobald jemand wieder in die Krankenkasse einzahlen kann - die sich ggf. weniger Menschen leisten können werden.

     

    Auch ist dies in gewisser Weise ein Abschied von der solidarischen Finanzierung. Den "Armen" werden höhere Lasten aufgebürdet und den etwas "Wohlhabenderen" und vor allem den Versicherungen werden Lasten abgenommen. Ist dies wirklich der Weg, den wir als Gesellschaft gehen wollen?

    Stimmt hier wirklich die Richtung?

    Mich überzeugt dieses Gewurschtel nicht - ich bin für eine solidarische Bürgerversicherung und wer meint, er möchte einige Extras, der möge sich privat zusatzversichern.

  • W
    Wolfgang

    Wucher-Profit für die großdeutsche Bourgeoisie und Wucher-Dividende für die Aktionäre, die verkaufs- und profitorientierte Ärzteschaft, die braven Spieß- und Kleinbürger, die deutsch-europäischen Vermögens- und Steuerhinterzieher, dies und noch mehr, gehört doch zum FDP-Programm, oder?