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■ QuerspalteSäuische deutsche Einheit

Der 3. Oktober war ein sonniger Tag, und doch ein wenig freudlos. Denn es tönt stets das gleiche Lied: Osten jammert wg. Verlust von Identität und Jobs, Westen jammert wg. Verlust von Geld, vulgo Solizuschlag. So waren auch die Feiern: bemüht. Auch der einschlägigen Presse fiel wenig Zündendes ein. Auf dem Cover des Fachblattes für Ostoptimismus, der Wochenpost, blicken uns zwar lebensfrohe, junge Ostmenschen an, doch im Blatt finden sich nur umständliche, bunte Statistiken über Feeling Ost, die sich nur gewieften Lesern erschließen. Das Westpendant, der Berliner Tagesspiegel, titelte am Freitag „Gedämpfte Zuversicht am Jahrestag der deutschen Einheit“. So kann man es auch sagen.

Woher diese Zurückhaltung? Spricht daraus eine dem deutschen Wesen eigentümliche Miesepetrigkeit, der ins Routinierte gerutschter Hang zum Klagen? Wo bleibt das Positive? Gibt es wirklich keine Wendegewinner?

Doch. Diese Einsicht verdanken wir wiederum dem Tagesspiegel. Dort lesen wir erfreut, daß am Abend des sechsten Jahrestages der Einheit die Avus gesperrt wurde. Die Avus ist jene schnurgerade, sinnlose Stadtautobahn, die der gemeine Berliner mit dem Autoaufkleber „Hundert? Ick gloob ick spinne!“ zu kommentieren liebt, um alle unsere Vorurteile gegen ihn zu bestätigen. Grund: Eine Wildschweinhorde suchte auf dem Avus- Randstreifen nach Futter. Quietschende Reifen, hysterische Autofahrer, tapfere Polizisten, die die Wildsäue schließlich in den Wald zurücktrieben.

Diese Schweinehorde, deren autofeindliche Aktivität hier ausdrücklich gutgeheißen sei, ist ein Kind der Wende. Seit Mauerfall haben die Westberliner Wildschweine ordentlichen Zulauf aus dem Osten bekommen. Seitdem grunzt Ost und West hier gleich zu gleich.

Die „Weltstadt Berlin“ (Eberhard Diepgen) steht der deutsch-deutschen Horde übrigens machtlos gegenüber. Das Forstamt Grunewald erklärte, für die Avus sei kein Berliner Förster zuständig. No comment. Gert Peehs

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