Sänger über 40 Jahre Goldene Zitronen: „Eine Band, die weiter morpht“
Schorsch Kamerun ist Sänger der Goldenen Zitronen. Zum Bandjubiläum spricht er über mundgeblasene Sektflöten, die Kunstsammlung von Mathias Döpfner und „Bravo“-Homestories.
taz: Schorsch Kamerun, Ihre Band, die Goldenen Zitronen,veröffentlicht nun auch ein Best-of-Album: Ist „Inventur“ der Beweis, das Punk endgültig tot ist?
Schorsch Kamerun: Verstehe ich nicht, die Frage.
geboren 1963, seit Langem neben den Goldies als Regisseur und Hörspielautor tätig
Band: Gegründet 1984 in Hamburg. In wechselnder Besetzung sind die Goldies bis heute aktiv.
Best-of: „Inventur“, Triplealbum mit 44 Songs (Buback/Indigo)
Tour: „Gala mit ihren Genoss*innen“ 2. 12. 2024 Zoom, Frankfurt a. M., 3. 12. 2024 Gloria, Köln, 4. 12. 2024 Festsaal X-berg, Berlin, 6. 12. 2024 Technikum, München, 7. 12. 2023 Conne Island, Leipzig, 8. 12. 2024 Festsaal X-berg, Berlin, 19. 12. 2024 Kampnagel, Hamburg
taz: Ein Best-of hat etwas Abschließendes, oder nicht?
Kamerun: Es ist eine Inventur, alle paar Jahre macht man einen Schnitt, schaut mal wieder zurück und mistet aus.
taz: Also kein Abschied?
Kamerun: Das ist nicht der Grund. Wir haben uns auf das 40-jährige Bandjubiläum eingelassen und fanden, wir sollten uns wieder mal gemeinsam als Goldene Zitronen zeigen. Wir sehen uns als Teil einer Szene. Deswegen fahren wir jetzt auch nicht allein auf Tour, sondern als Band mit vielen Gästinnen und Gästen. Anlass war auch, als mit Kristof Schreuf ein wichtiger Teil unseres Umfelds 2022 verstorben ist. Da haben sich viele wiedergetroffen und gemerkt, dass diese Zusammenkunft von Leuten aus einer bestimmten Zeit mit ihrer spezifischen Geschichte ziemlich einzigartig in den Goldenen Zitronen zusammenkommt. Und, dass man das einfach bedienen muss.
taz: Mit welchem Ziel?
Kamerun: Es entsteht eine Melange aus politischem Aktivismus mit einer Aussagekraft, die wir über die Goldenen Zitronen an die Öffentlichkeit tragen. Die Leute verbinden was mit unserer Musik. Ich freue mich zwar jetzt nicht darauf, durch die Lande zu fahren. Trotzdem lohnt es sich, die Goldenen Zitronen in Betrieb zu halten, weil wir mit unserer inhaltlichen, politischen, aber nicht antiquierten Haltung innerhalb von Popkultur eine Einzigartigkeit haben, die es braucht.
taz: 40 Jahre sind Sie nun in verschiedenen Besetzungen unterwegs, das ist sehr lange für eine Band.
Kamerun: Ja, die meisten Bands erfinden was, und stärken oder behalten es dann. Die Stones müssen „Satisfaction“ spielen, wir aber nicht „Für immer Punk“. Wir haben uns extrem verändert über die Jahre. Und versucht, uns immer mit Gegenwart auseinanderzusetzen. Der Nachteil ist aber, wir spielen unsere alten Sachen nicht, das können wir nicht mehr, weil diese Songs für uns überhaupt nicht mehr funktionieren.
taz: Auch nicht auf einer Jubiläumstour?
Kamerun: Nein, wir fassen sie zwar auf dem Best-of-Album zusammen, aber wir werden jetzt nicht im „Dorfkrug“ spielen. Nichts dagegen, aber es ist nicht mehr contemporary. Wir können doch nicht so tun, als wären wir immer noch eine junge, ungestüme, aggressive Punkband, die darauf setzt, dass das Irritation hervorruft. Wir können auch nicht an dem Punkt sein, Anfang der Neunziger, wo wir ganz verdichtet, eine fast schon eindimensional politisch greifende Gruppe sein mussten.
taz: Wer sind die Goldenen Zitronen denn jetzt dann?
Kamerun: Jetzt sind wir ein bisschen ein amorphes Alles. Wir schmeißen da als Kollektiv ganz viel rein, aber es bleiben eben trotzdem immer die Goldenen Zitronen. Dafür werden wir auch so geschätzt, und da entsteht dann so eine charakteristische Atmosphäre. Das ist keine Nostalgie! Eher so, wie wenn du an den Ort gehst, der noch so funktioniert und wo nicht eben nur einfach die alten Hits gespielt werden, sondern an dem noch was passiert.
taz: Also kein Funpunk mehr?
Kamerun: Definitiv nein, wir sind wie eine Kunstform, die weiter morpht. Schon als wir Mitte der 80er Jahre noch Funpunk waren, waren wir skeptisch und immer selbstwidersprüchlich. Wir haben unseren Markenkern nicht noch mehr verstärkt, sondern weitergemacht.
taz: Welches Material spielen Sie auf Tour?
Kamerun: Wir spielen natürlich vieles aus unserem großen Oeuvre, haben aber Gäste dabei, die ältere Sachen teils übernehmen. Wir graben natürlich auch selbst nach hinten und gucken, was wir heute adäquat vertreten können, ohne uns zur Verstärkung die Klamotten vom Leib zu reißen, was wir auch mal getan haben.
taz: Wer ist Teil Ihrer Szene heute?
Kamerun: Wir sind lange in unterschiedlichsten Szenen angekommen. Bei Bandgründung 1984 fand ich zum Beispiel Kunst per se scheiße, mit nur Schnöseln und Bänkern in White Cubes, plus ihren mundgeblasenen Sektflöten.
taz: Aber die Goldenen Zitronen machen doch auch Kunst?
Kamerun: Schon – aber übrigens, auch Theater empfand ich als etwas ausschließend Vollelitäres. Und ja, es gibt dort weiterhin bekämpfenswerte Strukturen und Hierarchien, aber eben auch viel progressiven Diskurs und Leute, die denken. Unsere Herkunft bleibt die solidarische Politszene, das Umfeld von Hamburger Hafenstraße, Rote Flora, das ist Teil unserer Geschichte. Ästhetisch waren wir dabei immer undogmatischer als andere.
taz: Also keine Punkklischees?
Kamerun: Wir wollten nicht nur Punk sein, sprich schwarze Lederjacke, kleine Patches, Pyramidennietengürtel, hartmännische Slogans. Trotzdem waren wir politisch verlässlich. Das ist die Melange, die ich als Szene betrachte. Clubkultur ist natürlich ein weiterer wichtiger Aspekt.
taz: Inwieweit waren Sie politisch auf Linie?
Kamerun: Zum Beispiel wollten wir keine große Plattenfirma. 1990 hat uns Tim Renner angeboten, fünf Majorlabel-Alben zu produzieren, bei einer Laufzeit von 15 Jahren: Was für ein Wahnsinn! Man hat uns viel Kohle geboten, inklusive Homestorys in der Bravo. Die Goldenen Zitronen sind am Ende kein erfolgreiches ökonomisches Unternehmen. Aber damit sind wir zufrieden.
taz: Wie haben Sie die Songs für „Inventur“ ausgewählt?
Kamerun: Das soll ein Überblick sein, der abbildet, wie sich die Gruppe gewandelt hat. Für mich hatten wir drei „Karrieren“. Einmal die frühe: die Überzeichnung von BRD-Wirtschaftswunderhorror, mit der wir zu Funpunkzeiten anfingen. Wir kamen sauber an der Kante nach dem Wirtschaftswachstum, nach den 68ern, wo man zu 100 Prozent alles ablehnen konnte.
taz: Inwiefern?
Kamerun: Man hat sich als Punk nihilistisch gegeben, und war trotzdem sehr politisch. Dann noch Schlager persiflieren, das war zunächst radikal. Anfang der 1990er mussten wir uns dann eindeutig definieren. Haben angefangen, längere Songtexte zu machen, sind HipHop-Kollaborationen eingegangen oder haben uns Liedermacher angeschaut, um wegzukommen von der Strophe-Refrain-Verkürzung und schlichten Parolen. Um uns dann Ende der 90er Jahre erneut zu öffnen und uns weiter auszuprobieren, mit Freejazz, Krautrock Elektronik und E-Musik.
taz: Wo bleibt die Gegenwart?
Kamerun: Heute können wir uns bei allem bedienen. Weiter Punk spielen wie 1984, das wäre jedoch albern. Inzwischen irritiert vielleicht was ganz anderes, Texte zu Musik ohne Beats etwa.
taz: In einem Interview meinten Sie, dass die kritischste Kunst am schnellsten im Museum landet.
Kamerun: Ja, das ist so. Das Cover von unserem Album „Lenin“, eines unserer besten Werke, finde ich – stammt vom Maler Daniel Richter. Sein Bild heißt „Lonely Old Slogan“, er hat einen Punker in Nietenlederjacke abgebildet. Das ist ein großes Kunstwerk, das teuer verkauft wurde und jetzt auf einer Ausstellung von Bild-Chef Döpfner in der Potsdamer Villa Schöningen hängt. Wir sind nicht im Mainstream gelandet, weil wir es auch verhindert haben, was auch immer Mainstream ist.
taz: Mainstream ist ein komisches Wort, oder?
Kamerun: Vielleicht ist ja auch Mainstream, wenn wir vor 1.000 Leuten live spielen oder im Radio laufen. Aber wir sind schon eine Zeitinsel. Oder vielleicht lebendige Erinnerungskultur. Womöglich sind wir auch ein fahrendes Anti-Museum. Wir vertreten dieses Offensein und DiY-artige aus einer bestimmten Zeit.
taz: Was für eine Zeit war das?
Kamerun: Als wir in den frühen 1980ern in St. Pauli ankamen, fanden wir erst mal eine Umgebung vor, die keiner wollte. Man hat einfach den Schlüssel gekriegt und gesagt bekommen: Macht irgendwas mit dem Laden, den braucht keiner. Daraus wurde dann der Pudel Club. Und man konnte eben mit 150 D-Mark zu sechst am Fischmarkt in einer WG wohnen. Also das Gegenteil von heute. Das Wichtige ist, dass es sich ausprobieren ließ, ohne Businessplan und ohne Druck, liefern zu müssen. Wir hatten auch jahrelang Zeit, bevor sich irgendjemand interessiert hat. Das war unsere große Chance. Wir waren Bohème auf der untersten Etage.
taz: Wäre das heute noch möglich?
Kamerun: Eher nicht. Wir brauchten kein Geld. Aber das „Waste your time“-Prinzip ist längst vorbei. Experimentieren ist durch die Gentrifizierung schwerer geworden. Heute wird zudem viel schneller ausprobiert, eingepackt und weggeschmissen. Wir konnten in Ruhe testen, ohne Scheinwerfer drauf. Die ersten vier, fünf Jahre trafen sich immer dieselben Leute auf Konzerten in der BRD, es stand in keiner Zeitung, es gab kein Tiktok.
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