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Sackgasse Transrapid?

Experten sehen Eisenbahn gegenüber der Magnetschwebebahn technologisch im Vorteil / Weltmarktchancen für den Transrapid stehen schlecht  ■ Von Florian Marten

Hamburg (taz) – Ein leichter Knopfdruck, Strom frei, Elektronen wirbeln durch die dicken Magneten an der Bodenpartie des weißen Blechwurms. Magnetkraft prallt auf die eisenmagnetischen Reaktionsschienen an der Unterseite des Fahrwegs. Leicht hebt sich der Transrapid „Europa“ 15 Zentimeter von der T-förmigen betongestelzten Schiene. Ein leichtes Vibrieren, dann greifen die Führ- und Antriebsmagnete der Schiene zu, packen den Wurm, katapultieren ihn sanft und rasant auf bis über 400 Stundenkilometer. Vor seiner steilen Schnauze türmen sich die Luftwellen immer kompakter auf. Ein blockweise hüpfendes Stromfeld im Fahrweg schleudert den Schwebezug vorwärts. Der elektromagnetische Linearmotor des Fahrsystems ist in die Schiene integriert und wird immer genau in dem Abschnitt des Fahrwegs aktiviert, den das bis zu 250 Meter lange Geschoß durcheilt. Entgleisen kann der Magnetwurm nicht – kräftige Wülste umklammern in genau bemessenem Abstand das T des Fahrwegs. Nähert sich die rote digitale Tempoanzeige an der Stirnseite der Großraumabteile der Marke 300, schneller wird auf der Teststrecke im Emsland mit Besuchern selten gefahren, dann machen kräftige Vibrationen das Fahrerlebnis auch körperlich fühlbar. Eintausendachthundert Millionen Mark aus den Taschen deutscher Steuerzahler hat dieses Erlebnis bislang gekostet, in dessen Genuß, geht es nach dem Willen von Siemens, Daimler, MBB, Thyssen, Henschel und der Deutschen Bank, vielleicht schon im Jahr 2004 ganz normale Reisende zwischen Hamburg und Berlin kommen dürfen. Das verständliche Interesse des einflußreichen Industriekonsortiums der Magnetschwebebahn Transrapid hat nach einer langen Durststrecke, als CSU-Finanz- und Verkehrsminister das Projekt aushungerten, wieder energische politische Fürsprache gefunden. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte den Wurm zur Chefsache – nach dem Ja von Kabinett und Bundestag könnte nun auch der Bundesrat zustimmen. Die Front der Neinsager aus der SPD bröckelt.

Dabei gibt es am verkehrs- und finanzpolitischen Unsinn der rund 15 Milliarden Mark teuren Referenzstrecke Hamburg–Berlin überhaupt keine ernsthaften Zweifel. Selbst Bahnchef Heinz Dürr, als Mitbetreiber des Magnetwurms vorgesehen, notierte jetzt trocken: „Verkehrspolitisch brauchen wir den Transrapid nicht.“

Die Transrapidfans, gerade auch in der SPD, suchen ihre Pro- Argumente denn auch auf einem anderen Feld: Es gehe um technologischen Vorsprung und industrielles Selbstbewußtsein der mächtigsten Industriemacht des Alten Kontinents, um blendende Zukunftschancen auf dem Weltmarkt. Hans-Ulrich Klose, Chef der SPD-Bundestagsfraktion: „Es darf doch nicht sein, daß wir seit 15 Jahren jede Großtechnologie ablehnen. Mit Vernunftgründen allein kommen wir nicht weiter. Die SPD kann sich ein Nein im Wahljahr nicht leisten: Sozialdemokratie würde mit Technikfeindlichkeit gleichgesetzt.“

Jürgen Wax-Ebeling, Bahntechnik-Experte des Hamburger Ingenieurbüros SCI, sieht das anders: „Die Magnetschwebetechnik ist bis heute eine Sackgassentechnologie. Sie wurde entwickelt, als man noch glaubte, die Rad-Schiene-Technologie habe enge physikalische Grenzen. Die Orientierung der deutschen Forschungsförderung auf die Magnetschwebetechnik hat der Bundesrepublik einen Rückstand bei der viel aussichtsreicheren Rad-Schiene- Technologie beschert.“

Tatsächlich stritten Ende der 60er Jahre gleich drei Systeme um die erdnahe Fernverkehrszukunft, die Luftkissen-, die Magnetschwebe- und die Rad-Schiene-Technologie. Prototypen düsengetriebener Lufkissenfahrzeuge für den spurgeführten Betrieb in Betonfahrwegen wurden sogar gebaut, landeten aber schnell auf dem Technikfriedhof. Der Energieaufwand war viel zu hoch, die technischen Probleme gewaltig.

Frankreich beerdigte schon 1971 seine Forschung am magnetischen Schweben und setzt seither voll auf Hochgeschwindigkeit bei der herkömmlichen Bahn. Mit großem Erfolg: Noch Anfang der 70er Jahre hatten Ingenieure geglaubt, Schienenfahrzeuge nie deutlich über 300 km/h beschleunigen zu können. Die Antriebsenergie, so die Sorge, ließe sich einfach nicht in ausreichener Kraft vom Rad auf die Schiene übertragen. Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV hat, obwohl ein Leichtgewicht, diese Prognose inzwischen nachdrücklich widerlegt: Mit 515 km/h bei einer Achslast von nur 15 Tonnen hält er derzeit den Weltrekord für Schienenfahrzeuge.

Während die Franzosen ihre Züge schneller machten, wanderten die deutschen Forschungsmilliarden in den Transrapid. Zwar hatte die Bundesbahn 1975 eine mögliche Teststrecke für Hochgeschwindigkeitszüge in Nordrhein- Westfalen zwischen Rheine und Freren ausgeguckt – den Zuschlag erhielt statt dessen der Transrapid mit seiner Teststrecke im Emsland. Deutschland erlitt, trotz der in den 80er Jahren nachgeholten ICE- Entwicklung, einen Rückstand in der Schienenverkehrstechnologie. Doch heute lassen die Erfolge der Schieneningenieure den Transrapid verkehrstechnisch überflüssig erscheinen.

Angesichts dieser Entwicklung halten sich die möglichen Einsatzgebiete für den Transrapid nach Wax-Ebelings Meinung denn auch in engen Grenzen: „Ein Einsatz in ebenem Gelände mit vergleichsweise kurzen Haltestellen-Abständen macht keinen Sinn.“ Ein ideales Einsatzprofil sei dagegen, sollten die technologischen Probleme eines Tages gelöst sein, das ferne Indien: „Eine Strecke Neu Delhi– Nepal über den Himalaya“, so der Ingenieur mit ironischem Unterton, „würde die Stärken der Magnetschwebetechnik zur Geltung kommen lassen.“

Die aktuelle Entwicklung auf dem Weltmarkt für spurgeführte Landfahrzeuge gibt Wax-Ebeling recht: In Stadt- und Nahverkehr sind Stadtbahnen und Regionalzüge auf dem Vormarsch, Magnetschwebesysteme wie die H-Bahn von AEG sind immer noch nicht marktreif, finden keine Nachfrage.

Im Fernverkehr bricht die gute alte Eisenbahn zu neuen Ufern auf: Ob Europa, USA oder China – Aus- und Neubau von Schienenverkehrsstrecken sind angesagt. Fast immer hat der französische TGV die Nase vorn, die technologisch rückständigen ICE-Bauer haben bislang kein Projekt für sich entscheiden können. Noch schlechter steht es um die Perspektiven des Transrapid: Er hat nur dann eine Chance für einen wirklich lukrativen Markt, wenn sich bislang bahnlose Länder für das neue System entscheiden. Hier scheint jedoch der Zug für die Magnetschwebefreaks längst abgefahren: Ein Land nach dem anderen setzt auf die moderne Rad-Schiene-Technik. Taiwan, ein nicht gerade technologiefeindliches Land, hat sich jüngst ebenfalls für die Eisenbahn entschieden. Das Rennen machte der TGV.

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