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Sabotage der Musikmultis

Um dem Austausch von Musikdateien im Internet Einhalt zu gebieten, schlagen die internationalen Plattenkonzerne offenbar mit dubiosen Methoden zurück – und bieten MP 3s in mieser Qualität

„Es wäre verrückt, würden die Labelsihre Einflussnahmenicht nützen“

von ROLAND HOFWILER

Wer sich die neueste Platte des US-Rappers Eminem über eine der unzähligen Internettauschbörsen auf seinen Rechner ziehen will, der kann ein blaues Wunder erleben. Zumindest auf den amerikanischen Servern – etwa unter www.audiogalaxy.com oder unter www.musiccity.com – kommt nur Schrott aus der Leitung.

„The Eminem Show“ ist in dutzenden Versionen vorhanden, doch in den seltesten Fällen als Hörgenuss in feiner MP 3-Soundqualität. Grund des Datensalats: Die Plattenfirma des Rappers, „The Interscope Label“, hat die Musikbörsen mit gefälschten und verstümmelten MP 3s überflutet.

Das behaupten zumindest die seriöse Los Angeles Times und das anspruchsvolle Internetmagazin Salon.com. Die Fakes enthalten unter anderem 20 bis 30 sekündige Loops des Refrains. Oder die Stücke haben im Hintergrund ein penetrantes Rauschsignal oder fallen durch Kratzer und Sprünge auf, als stammten die Songs von einer Schellackplatte.

Mit dieser Methode, mutmaßen die US-Blätter, soll der Gratis-Download für die User zur Sisyphos-Arbeit werden und den Musikfreaks den Spaß am Überspielen unbezahlter Musikstücke verderben. Zwar bestreitet „Interscope Label“ mit solchen Sabotagemaßnahmen die jüngste Eminem-CD vor Raubkopien zu schützen, doch geben die Verantwortlichen offen zu, man habe sich in Absprache mit anderen Musikmultis Gedanken gemacht, wie der „illegale Austausch von Musik“ langfristig zu unterbinden sei. „Es wäre verrückt,“ sagt etwa Cary Sherman, Präsident der Recording Industry Association of America, „würden die Labels die Möglichkeiten der Einflussnahme nicht nutzen“.

Nach den Erfahrungen zahlreicher MP 3-Musikliebhaber und den Recherchen einiger Internettauschbörsen häufen sich im Peer-2-Peer-Bereich der Computerverknüpfungen, die gezielten Angriffe von Seiten der fünf weltweit führenden Plattenmultis, die den freien Austausch von Tondokumenten über das Netz mit allen Mitteln zu unterbinden versuchen. Denn das Beispiel Eminem ist kein Einzelfall. Auf einigen europäischen Servern sind derzeit zahlreiche Evergreenmelodien von Big Bands, Ohrwürmer der Beatles und Konzertaufnahmen von Bach bis Beethoven gestört. Herauszufinden jedoch, wer die Fakes tatsächlich in Umlauf brachte, ist in den offenen Netzstrukturen des Internets nicht möglich.

Während sich die Tauschfans keinen Deut um Eigentumsfragen kümmern und auf die Privatkopie und den Tausch unter Gleichen setzen, arbeiten die fünf weltweit führenden Unterhaltungsmultis fieberhaft an einem neuen Standard der Musikdistribution, der, ähnlich dem Microsoft-Betriebssystem Windows, langfristig das Abspielen und das Verbreiten von digitalen Ton- und Bildträgern regulieren soll. Ob sich allerdings die Plattenkonzerne BMG, EMI, Sony, Universal Music und Warner Music intern bereits auf eine gemeinsame Strategie geeinigt haben oder sich selbst bekämpfen, darüber kann vorerst nur spekuliert werden. Neben den Musikfakes häuften sich in den vergangenen Monaten auch die Hackerangriffe auf die Tauschbörsen, legte eine unsichtbare Hand hin und wieder einen Virus als MP 3-verpackt mit ins Netz.

All diesen Attacken zum Trotz floriert der kostenlose Austausch von Sounds im Netz. Und die Deutschen entpuppen sich als eifrige Kollektionäre. Die Zahl der CDs und LPs die zwischen Flensburg und Passau über den Ladentisch gehen, verringert sich Monat für Monat um einige Millionen, Tendenz steigend. Dagegen helfen auch keine noch so ausgetüftelten Sabotage-Aktionen im Netz. Doch im Fall Eminem könnte dessen Plattenlabel auch einen heimlichen Werbetrick verfolgen: Aufgrund der Fakes ist „Eminem Show“ in den USA in aller Munde und die so genannten „Dirty Versions“ als Geheimtip unter Sammlern schon wieder begehrt.

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