SV Todesfelde in der Regionalliga Nord: Ein ganzes Dorf steigt auf
Der SV Todesfelde hat lange und umsichtig an seinem Aufstieg in die Regionalliga Nord gearbeitet. Jetzt versucht man, nicht den Kopf zu verlieren.
Viele haben einen gelb-blauen Schal um und sind in sichtlich ausgelassener Stimmung. Grund genug haben sie dafür: Ihr örtlicher Sportverein hat heute sein letztes Saisonspiel, doch schon vor dem Anpfiff gegen Werder Bremens zweite Mannschaft ist klar, dass in der kommenden Saison auf den Todesfelder Sportplatz nicht mehr Nordmark Satrup oder Hohenweststedt zu Gast sein werden. Der kleine SV Todesfelde spielt künftig in der viertklassigen Regionalliga Nord. Dann werden einige Vereine in die dünnbesiedelte Mitte Schleswig-Holsteins anreisen müssen, die in besseren Zeiten auch schon mal in der 2. Bundesliga kickten: der VfB Lübeck etwa oder der VfB Oldenburg.
Der Aufstieg in die Regionalliga Nord ist der größte Erfolg in der Geschichte des Dorfvereins. Die viertklassige Regionalliga Nord umfasst Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen. Während der Meister aus der niedersächsischen Landesliga, die Kickers aus Emden, direkt aufsteigen durfte, ging es für die anderen drei Landesmeister in der Relegation um die verbliebenen zwei Aufstiegsplätze. Weil Altona 93 im ersten Relegationsspiel gegen Bremen knapp verloren hatte, genügte Todesfelde am vergangenen Mittwoch in Hamburg ein Sieg, um schon nach einem Spiel sicher aufsteigen zu können.
Unbeeindruckt in Altona
Die lautstarke Altonaer Kulisse vor mehr als 4.100 Zuschauer:innen ließ das Team sichtbar unbeeindruckt, Todesfelde spielte extrem diszipliniert und körperlich robust. Besonders beeindruckte indes die Effizienz: Aus kaum mehr als sechs Torchancen schoss der Dorfklub fünf Tore – mit einem äußerst verdienten 5:3-Sieg verließ die Dorfmannschaft am späten Mittwochabend feiernd die Großstadt. „Die Krönung haben wir uns verdient“, sagte Trainer Dirk Hellmann nach dem Abpfiff.
Die Partie am Sonntagnachmittag gegen den Mitaufsteiger aus Bremen, die Todesfelde mit 0:3 verliert, ist entsprechend eine laue Sommerpartie ohne hitzige Situationen – nur der Rahmen für die Abschlussfeier einer erfolgreichen Saison. Rund 1.000 Zuschauer:innen verfolgen die Partie, so viele also etwa, wie das Dorf Einwohner:innen hat. „45 Fanschals habe ich heute verkauft“, sagt kurz vor der Halbzeit sichtlich zufrieden der Mann am Tisch abseits des Platzes, wo es Fan-Utensilien des Vereins zu kaufen gibt. Direkt daneben, in der „Nordkurve“ – eine dreireihige, kaum zehn Meter lange überdachte Tribüne – stimmen zwei Dutzend Zuschauer:innen auf den Ort gemünzte Lieder an. Zwei Trommeln untermalen das Gegröle. In der Halbzeit dröhnen Ballermann-Hits aus den Lautsprechern.
Man habe hier viel Spaß dabei, gemeinsam große Ziele zu erreichen, erklärt Vereinssprecher Sönke Ehlers. Über mehrere Jahre hinweg habe der Klub darauf hingearbeitet, den Sprung in die semiprofessionelle Regionalliga zu wagen. 2020 hatte der Verein schon einmal die Gelegenheit, an der Aufstiegsrunde teilzunehmen. „Aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil wir den Eindruck hatten, als Verein noch nicht bereit für diesen großen Schritt zu sein.“ Das hat sich seither geändert. „Wir haben in der Zwischenzeit die Pläne für das, was auf uns als Verein in der Regionalliga zukommt, in der Schublade liegen.“ Die Vorgaben etwa, was baulich am Stadion für die Zulassung zur Regionalliga getan werden muss, könne man nun ohne Druck umsetzen.
„Alle packen mit an, haben Herzblut für den Verein“, sagt Ehlers. Das zeige sich allein schon daran, dass sich ganze zwölf Leute aus dem Dorf ehrenamtlich um den Sportplatz und die Pflege der Anlage kümmern. „Wir haben bei vielen Aufgaben das Glück, das sich Leute mit Expertise einbringen“, sagt Ehlers. Ein Mitglied etwa ist beruflich beim Landeskriminalamt tätig und kümmert sich um das Sicherheitskonzept.
Möglich ist das auch geworden, weil einige lokale Unternehmer den Verein ausreichend finanziell unterstützen. „Natürlich haben auch wir große Sponsoren“, sagt Ehlers. „Das ist die Bedingung, um ambitioniert zu spielen.“ Da sei der Verein aber breit aufgestellt, viele der finanziellen Unterstützer seien schon seit vielen Jahren dabei. „Und sie kommen hier aus der Region, haben also enge Bindung.“ Ein direkter Wiederabstieg würde also nicht, wie es in der Vergangenheit schon bei vielen emporkommenden Vereinen geschehen war, zum Kollaps führen. „Da haben wir unsere Hausaufgaben schon gemacht“, sagt Ehlers.
Gewappnet auch für den Abstieg
Das bestätigte jüngst auch Jens Martens. Der 68-Jährige ist in Schleswig-Holstein ein Trainer-Urgestein, trainierte schon mal zu Drittliga-Zeiten Holstein Kiel und übernahm im Frühjahr kurzzeitig den vakanten Trainerposten des Drittligisten VfB Lübeck. Seit 2022 engagiert er sich aber auch als Sportchef beim SV Todesfelde. Nun kündigte er seinen Rückzug an. „Meine Aufgabe war es, die Mannschaft reif für die Regionalliga zu machen“, sagte er zur Begründung – die Aufgabe sei erfüllt.
Dass der Dorfverein in der kommenden Saison auf der Liste der Abstiegskandidaten ganz oben stehen wird, „dessen sind wir uns bewusst“, sagt Ehlers. Aber in den Plänen, die nun aus der Schublade gezogen würden, sei auch ein direkter Wiederabstieg eingepreist. Ein Auseinanderbrechen, wenn der Erfolg ausbleiben sollte, will man im Dorf unbedingt verhindern. Mahnende Beispiele von emporgekommenen Vereinen, die nach einem kurzen Hoch wieder in der Versenkung verschwanden, gebe es schließlich überall im Land zuhauf, so Ehlers.
„Der SV Todesfelde ist ein großes Team“, sagt Ehlers. Solange das so bleibt, sei eine Etablierung des Dorfklubs in der Regionalliga zumindest denkbar. Sicher dürfte hingegen sein, dass auch in der kommenden Saison Todesfelde an späten Sonntagmittagen wie ausgestorben wirken wird. „Das Dorf steht hier wirklich hinter dem Verein“, sagt Ehlers.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül