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STANDBILDStouting

■ "Berlin Mitte", Freitag, 21 Uhr, NDR3

Der Solo-Coup von Rosa von Praunheim auf dem heißen Stuhl von RTLplus hat den Umgang mit Outing vorprogrammiert: Aus der politischen Strategie der US-Schwulenbewegung, prominente Homosexuelle zu enttarnen, wurde eine geschwätzige Tratschnummer mit kurzem Verfallsdatum. Eine abgefeimte Variante, Outing jegliche politische Dimension zu nehmen, wurde in Berlin Mitte praktiziert. Unter dem Titel Im Interesse der Öffentlichkeit? Privates im Rampenlicht sollte zusammenwachsen, was gar nicht zusammengeht: Stasi und Outing.

Wie schnell daraus Stouting wird, begründete Talk-Masterin Georgia Tornow gleich zu Beginn: Da wird öffentlich auf Personen gezeigt, „da ist Zwang im Spiel“. Mit scharfen Geschützen nimmt sie dann die Gefahr ins Visier, spricht vom „Pranger“ und erinnert ans Grundgesetz: „Die Würde des Menschen...“

Zweitmoderator Ron Williams macht borniert weiter und zwingt die Homosexuellen aufs rechte Niveau: „Was in meinem Bett passiert, geht nur meine Freundin und mich etwas an.“ Als ob irgend jemand das bezweifeln wollte, ziehen wir daraus nur eine Lehre: Homosexualität ist das, was im Bett passiert. Williams weiter: „Es sei denn, wir verstoßen gegen Gesetze.“ Zweite Lehre: Wenn wir den 175 wiederhaben, dann wird das Gerede vom Privaten hinfällig.

Die Gäste selbst haben zum Thema so viel beizutragen, wie jeder beliebig andere am kalten Büffet. SPD-Vize Wolfgang Thierse spricht leichtfertig von „einer Art Terror“, und der Senioren-Homo Alphons Silbermann darf amüsant und harmlos sein wie immer. Einzig Flottillenadmiral a.D. Elmar Schmähling denkt ein bißchen weiter und kann sich Grenzsituationen vorstellen, wo Outing vonnöten ist.

Bei so wenig Antistimmung legt Ron Williams nochmal Feuer. Immer flott mit Nazi-Vergleichen beschuldigt er Outing-Befürworter, den rosa Winkel neu zu gebrauchen. (Zur Erinnerung: Mit dem rosa Winkel gezeichnet schickten die Nazis Homosexuelle in die Konzentrationslager.)

Bei so viel Unredlichkeit dämmtert die Erfahrung, die die amerikanische Schwulenbewegung in der öffentlichen Outing-Debatte macht: Die Liberalen lassen endlich ihre mühsam fabrizierte Fassade der Toleranz fallen.

Wer wissen will, wie die Diskriminierung von Homosexuellen heute funktioniert, braucht keine ablenkenden Verweise auf Gauweiler und Dyba. Solche Talk-Shows zeigen, wo es langgeht. Homosexuelle werden als Sexmonster rekonstruiert, bar jeglicher sozialen und politischen Identität.

Talk-Gast „Mutti“ Meisel faßt populistisch zusammen: „Der ist Homo, der also treibt's mit Männern.“ Elmar Kraushaar

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