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SPIELEND MORDEN

■ „Theater Scharfe Kante“ zeigt „Die Nacht der Mörder“

In den frühen Sechzigern geschrieben und in Kuba uraufgeführt, gelangte Jose Trianas Die Nacht der Mörder 1969 nach Europa, und hier traf das Spiel um den psychischen - Elternmord gleich den Nerv der Zeit. Die seelische Gewalt gegen die in Jahren der Kindheit aufgestaute Ohnmachtserfahrung ist auch heute aktuell wie der Pflasterstein, der gegen Vater Staat saust.

Die Nacht der Mörder ist ein Spiel im Spiel, ein Spiel um Wirklichkeitsebenen. Cuca, Beba, Lalo sind die Kinder, deren Spiel in ihrem Rückzugswinkel, dem ärmlich möblierten Keller, von solchem Ernst ist, daß ein wirklicher Elternmord sein Ergebnis sein könnte. Gleichzeitig sind sie die etwa 30jährigen, für die eine sich in gesellschaftlichen Institutionen reproduzierte Elternmacht eine Bedrückung ist, die nur das spielerische Erleben des Elternmordes heilen kann. Sie spielen die Rolle des Unterdrückten und des Unterdrückers abwechselnd. Szenen kindlicher Ohnmacht vor den Eltern, die auch als Unterdrückte, Enttäuschte erkennbar werden, wechseln mit Szenen, in denen Lalo, der „Mörder“, die gewaltigeren Mächte erfahren muß, die hinter der Elternmacht stehen: Polizei, Justiz, Öffentlichkeit. Es ist die Geschichte einer Emanzipation, doch nicht nur der der Kinder von den Eltern. Lalo, der zunächst in der Kühnheit seiner Mordtat glänzt, die vielleicht nur die väterliche Gewalt reproduziert, wird am Ende schluchzend gestehen, daß er die Eltern liebt. Die zunächst schwache, besonnen moralische Cuca wird, nachdem sie sich auch in der Mutter erkannt hat, sich als die Unterdrückte begreifen, ihre Schwester Beba wird den erst bewunderten Lalo höhnen. Ruhiger, entschlossener erwägen sie nun den Mord: „Eines Tages tun wir es wirklich.“

Das „Theater Scharfe Kante“ läßt Lalo nicht nur von einer Frau spielen, sondern eine Frau sein. Das ist problematisch, da Lalo nicht nur manch typische männliche Eigenheit verkörpert, sondern auch Widerpart der Emanzipation der Frauen ist, aber ein Experiment wert. Doch wird die Funktion dieses Geschlechtertausches nicht klar. Mette Skytte -Borngräber scheint mal eine (aber welche?) Frauenrolle anzupeilen, dann wieder mit affektiert verzogener Stimme doch den Jungen zu imitieren und bleibt neben Heike Schalk (Cuca) und Susan Klaffer (Beba) unglaubwürdig.

Aber es kommt auf diese drei ganzen Persönlichkeiten an, denn ihre Entwicklung ist die eigentliche Handlung. Im Rollenspiel stellen sie „ihre Welt ohne Tricks und Kniffe“ dar. Das „Theater Scharfe Kante“ scheint seinem Spiel nicht zu trauen. Es markiert die Rollen des Vaters, der Mutter usw. durch Requisiten, setzt die Schwächste in den Rollstuhl, läßt die Darstellerin mit „symbolischen“ Gegenständen hantieren und will's mit abgegriffenen Soundeffekten spannend machen, für dieses Stück ein zu leichtfertiger, anspruchsloser Ansatz.

glagla

„Theater Scharfe Kante“ zeigt „Die Nacht der Mörder“, 10. und 18.-21.5., 18. und 23./24.6. im Atelier Internationale Kunst, Dahlmannstraße 11, 1-12.

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