: „SPD will sich nur noch selbst darstellen“
■ Der zurückgetretene SPD-Fraktionsvorsitzende Richard Schröder zu seiner Politik in 130 Tagen großer Koalition und der neuen Oppositionsrolle der SPD-Fraktion
INTERVIEW
Berlin (taz) - Dienstag früh hätte der SPD -Fraktionsvorsitzende Richard Schröder gern dem Vorschlag des Ministerpräsidenten de Maiziere zugestimmt, den Beitrittstermin auf den 14. Oktober festzulegen. Am Abend sagte seine Fraktion, nein, die SPD favorisiert weiter den 15. September. Schröder trat von seinem Amt zurück, Nachfolger wurde der SPD-Vorsitzende Thierse.
Am Morgen danach sprachen wir mit ihm über seine Politik und das Ende der 130 Tage der großen Koalition.
taz: Worüber geht der Streit: Beitritt am 15. September oder am 14. Oktober?
Richard Schröder: Es steckt die Frage dahinter, wielange die DDR stabil gehalten werden kann. Andererseits steckt das Interesse dahinter, sich zu profilieren. Die SPD hat den 15.September genannt aus der Sorge, sie würde als Einigungsverzögerer erscheinen. Ich persönlich hätte es besser gefunden, wir hätten Ruhe in die Debatte gebracht und hätten gesagt: Zwischen dem 15. September und dem 9.Oktober besteht keine Bekenntnisfrage.
Aber Sie sind unterlegen...
Ich bin unterlegen. Ich hatte im Vorfeld die Dinge etwas anders eingeschätzt, auch beim Einigungsvertrag...
Die SPD-Fraktion hat ihre Forderungen an den Einigungvertrag immer höher geschraubt...
Der Ministerpräsident hat eine Reihe von Essentials formuliert, denen wir zustimmen können. Zentral ist die Eigentumsfrage. Da hat sich einiges bewegt, und da ist uns immer klar gewesen, die Widerstände liegen nicht beim Ministerprädidenten, sie liegen in Bonn. In einer Zeit, in der die Eigentumsverhältnisse des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht gegolten haben, haben sich die Dinge so entwickelt, daß es heute sein kann, daß ein Bundesbürger rechtmäßiger Eigentümer an Grund und Boden ist und der DDR-Bürger rechtmäßiger Eigentümer des Hauses. So fürchten unsere Leute um ihr Haus. An der Stelle müssen wir eine sozial verträgliche Lösung kriegen. Wer sich da querstellt, gefährdet den sozialen Frieden. Hätten wir das von vornherein als unser Ziel formuliert, hätte der Einigungsvertrag ganz anders, als Erfüllung einer unserer Forderungen verstanden werden können. Aber der Wahlkampf kommt, und der Wahlkampf ist die Agonie der Demokratie, da geht es zuerst um Selbstdarstellung und dann erst um die Probleme.
Die Länderfinanzierung ist kein Essential?
Doch. Bloß: Der Hauptstreit geht da zwischen Bund und Ländern. Wenn dort eine Lösung herauskommt, die die DDR -Länder schwer benachteiligt, dann würde aufgrund der Grundgesetzbestimmung von der Gleichartigkeit der Lebensbedingungen in Deutschland sofort eine Verfassungsklage möglich. Deswegen habe ich da keine so große Sorge. Wenn dagegen der Eigentumsbegriff des Grundgesetzes auf uns angewendet wird, dann sehe ich schwarz.
Vor der Entlassung des Finanzministers Romberg, die das Ende der Koalition bedeutete, hat es ein Gespräch mit de Maiziere gegeben, an dem Sie teilnahmen. Worum ging es da?
Der Finanzminister hat Schwierigkeiten gesehen an drei Punkten: Verwaltungsvermögen, Finanzvermögen und Länderausgleich. Ich habe ihm nicht folgen können in dem Gewicht, die er seinen Bedenken gegeben hat. Beim Länderfinanzausgleich sehe ich, wer sich wofür stark macht. Wir haben im Bundesrat eine starke Vertretung der SPD, es könnte naheliegen, daß sich die SPD den Länderinteressen besonders zuwendet. Wenn allerdings Lafontaine Kanzler wird, dann muß er die Bundesseite vertreten. Es war nicht klug in meinen Augen, hier einen Konflikt in der DDR austragen.
Sie sind weniger von de Maiziere enttäuscht als von Ihrer Fraktion?
Da will ich mich nicht entscheiden. Den Ministerpräsidenten habe ich mir nicht auszusuchen, er ist im Kalkül unserer Seite eine Konstante. Wogegen wir uns darauf verständigen können, was wir für unsere Ziele tun wollen. Der Ministerpräsident ist auch kein geübter Politiker und ist Rechtsanwalt, ein Beruf, in dem das Einzelkämpfertum zum Profil gehört, und da hat er an der Stelle seine Schwierigkeiten. Das ist in anderer Weise auch in der SPD ein großes Problem.
Vielleicht hätten Sie mehr mit Herrn Staatssekretär Krause reden müssen. Wegen der Machtverteilung...
Das könnte sein, das habe ich selber auch schon einmal gedacht. Aber der Tag hat nur 24 Stunden...
Sie haben sich in den letzten Tagen überlegt, ob Sie einen Fehler gemacht haben. Ist Ihnen da etwas eingefallen?
Das kommt auf den Maßstab an. Ich habe mir als oberstes Ziel vorgenommen, daß wir die Einigung gut über die Runden kriegen. Als es nicht mehr ging, bin ich gegangen.
War es nicht rückblickend falsch, der schnellen Währungsunion zuzustimmen? Wäre die Alternative Währungskonvertibilität nicht besser gewesen?
Das würde bedeuten, wir hätten einen festen Wechselkurs. Wer will den stabilisieren, wenn immer nur Ostgeld nach Westen geht und nicht umgekehrt? Wir hätten die Inflation bekommen wie in Polen, die Sparguthaben wären völlig entwertet worden. Das muß man knallhart sagen. Die Leute vergessen, daß unsere Wirtschaft durch die wild gewordenen Betriebsdirektoren und durch die Massen von Flüchtlingen schwer geschädigt worden ist. Im Schiffsbau hat niemand feststellen können, ob der Schiffsexport der DDR sich lohnt oder nicht. Die Kaninchenzüchter haben ihre Tiere über dem Ladenpreis abgegeben. Das haben die natürlich gern gehabt. Der Subventionsfilz in der DDR-Wirtschaft wäre niemals geheilt worden. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war richtig. Wir kommen billig davon im Vergleich mit Polen und der Sowjetunion, das werden wir in zwei Jahren feststellen.
Wo wird Richard Schröder in zwei Jahren arbeiten?
Jedenfalls gehe ich in das Lehramt zurück, ich muß nur noch entscheiden, ob ich in einer ersten Periode des gemeinsamen Parlaments noch kandidieren werde.
Interview: Klaus Wolschner
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