Friede, Freude, Koalitionsvertrag

Der SPD-Parteitag sagt mit überwältigender Mehrheit Ja zum Ampel-Bündnis.Und Olaf Scholz wünscht sich, dass die Regierung länger als vier Jahre hält

So sehen Sie­ge­r:in­nen aus: Bald-Kanzler Olaf Scholz und seine SPD-Führungsriege nach der Zustimmung der Partei zum Koalitionsvertrag Foto: Fo­to:­ Mic­ha­el Kappeler/dpa

Aus Berlin Stefan Reinecke

„Vor vier Monaten hätte niemand gewettet, dass wir die Wahl gewinnen“, sagt Lars Klingbeil, Noch-SPD-Generalsekretär und Bald-Parteichef. Im Atrium des Willy-Brandt-Hauses in Berlin haben sich an diesem Samstag ein paar Dutzend SPD-SpitzengenossInnen versammelt. Das Gros der 635 Delegierten sitzt vor dem Stream zu Hause. Es werden viele Lobeshymnen gesungen. Parteichefin Saskia Esken beschwört die Einigkeit der Partei, die aus gemeinsamer Überzeugung wachse. „Der Fortschritt kommt nicht allein, den muss man wagen“, sagte sie. Sie klingt immer mehr wie Olaf Scholz.

Der Applaus ist warm und spontan, die Stimmung grund­entspannt. Man beklatscht sich ja auch selbst – den Wahlsieg und den Koalitionsvertrag. „Die Sozialdemokratie ist die führende Kraft in diesem Land“, sagt Norbert Walter-Borjans, der freiwillig als SPD-Chef abtreten wird. Er mahnt beiläufig, dass die Partei in der Aufgabenteilung nicht „zum Lautsprecher“ der Regierung werden dürfe. Es ist ein sanfte kritische Anmerkung, eine der wenigen.

Olaf Scholz scheint über die Bühne zu tänzeln. „Es ist ein ganz besonderes Gefühl“, sagt er als Erstes. Als er appelliert, sich impfen zu lassen, hebt er fast beschwörend die Hände. Es ist eine für seine Verhältnisse sehr emotionale Rede. Scholz, der sich am Mittwoch zum vierten SPD-Kanzler der Republik wählen lassen will, erinnert an Willy Brandt 1969 und Gerhard Schröder 1998.

Wie damals gebe es einen Aufbruch. Er ballt die Fäuste und sagt: „Wir müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, sonst wird es nichts mit dem Fortschritt.“ Der werde allen zugute kommen – das ist das sozialdemokratische Credo. Die Ampel werde keine Regierung, die bloß aus der Not geboren sei. Er wolle mit den „Freunden bei FDP und Grünen“ länger als vier Jahre regieren.

Und Scholz erinnert an den Moment, als für ihn Wesentliches begann. Im Sommer 2020 traf er sich mit Rolf Mützenich, Walter-Borjans, Klingbeil und Esken „in einem Restaurant hier um die Ecke“. Dort wurde besiegelt, dass er Kanzlerkandidat werden soll. Diese Entscheidung blieb bis zum Spätsommer 2020 geheim, es war auch ein Vertrauenstest. Scholz grinst. Er ist noch heute stolz, dass dies gelang.

Seitdem herrscht in der SPD ein neuer Stil, der Scholz-Stil. Bei den Koalitionsverhandlungen drang kaum etwas nach draußen. Auch die Nominierung der SPD-MinisterInnen verläuft nach Plan. Scholz wird, so war zu hören, die sechs MinisterInnen und drei StaatsministerInnen erst Sonntagabend informieren. Am Montag werden die SPD-MinisterInnen dann öffentlich präsentiert. Nur Scholz weiß offenbar Bescheid. Keine Vorab-Infos mehr an Medien – das war in der SPD nicht immer so.

In der Debatte zum Koalitionsvertrag ist das Meinungsbild eindeutig: Das Lob ist fast überschwänglich. Auch Juso-Chefin Jessica Rosenthal betont die Erfolge wie die Ausbildungsplatzgarantie und die anvisierte Bafög-Reform. Die Jusos würden die Regierung „kritisch-solidarisch“ begleiten und dem Vertrag zustimmen.

Kritische Meldungen gibt es kaum. Nach drei Stunden ist der Kurzparteitag vorbei

Daniela Kolbe, SPD-Linke aus Leipzig, die nicht mehr für den Bundestag kandidiert hatte, kritisiert das Verfahren der SPD beim Ja zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen. Die Zustimmung der Arbeitsgruppe in der SPD sei viel zu hektisch erfolgt, moniert sie. Aber solche Anmerkungen sind in der Aussprache selten.

Kevin Kühnert, der Generalsekretär werden soll, unterstreicht, dass die SPD mit dem Bauministerium ja auch ein Klimaministerium habe. Er wiederholt, allerdings rhetorisch um einiges dezenter als beim Juso-Kongress vor einer Woche, seine Kritik, dass bei der Mietenpolitik manches an der FDP gescheitert sei.

Und er gibt sich Mühe, allen die Notwendigkeit der eigenständigen Rolle der SPD begreiflich zu machen. „Wir sollten als Partei hungrig bleiben“, sagt Kühnert. Nur so könne die Sozialdemokratie die Hegemonie in der Gesellschaft erobern. Heute aber gehe es „mit angemessener Fröhlichkeit“ darum, Ja zum Koalitionsvertrag zu sagen.

Nach drei Stunden ist der Kurzparteitag vorbei. 98,8 Prozent der Delegierten votieren für das Regierungsprogramm.