piwik no script img

SPD spielt ihr Lieblingsspiel

Fünf Wochen vor dem Parteitag demontiert die Berliner SPD ihren Parteichef. Strieder zum Rücktritt aufgefordert

Auslandsreisen können für Politiker zum unwägbaren Risiko werden. Meist sind es Staatsoberhäupter, die eine Dienstreise aus Angst vor einem Putsch absagen. Doch auch das bescheidene Amt des Berliner SPD-Chefs kann eine solche Maßnahme zwingend erforderlich machen. Denn die Berliner SPD spielt fünf Wochen vor dem Landesparteitag, auf dem sie eine neue Führung wählt, ihr Lieblingsspiel. Es trägt den Titel „Wir demontieren den Parteichef“ und hat keine festen Spielregeln. Alles ist erlaubt.

Eine Dienstreise nach Venedig hat der Berliner Parteichef Peter Strieder, der zugleich auch Bausenator ist, gestern abgesagt. Das Grußwort zur Eröffnung der Architektur-Biennale, bei der Berlin seine neue Topografie präsentiert, wird sein Staatssekretär übernehmen müssen.

Denn Strieder muss um sein Amt kämpfen. In ganzseitigen Zeitungsinterviews forderten zwei prominente Sozialdemokraten den Parteichef zum Rücktritt auf. SPD-Querdenker Tilman Fichter und der frühere Berliner Bau- und Finanzsenator Klaus Riebschläger erklärten in getrennten Interviews, dass Strieder als Senator des Großressorts Stadtentwicklung, Bauen, Umwelt und Verkehr dem Amt des Parteichefs nicht gerecht werden könne.

Nun ist Strieder keineswegs seit 16 Jahren im Amt wie der Berliner CDU-Parteichef Eberhard Diepgen. Nein, der 48-Jährige ist erst seit 14 Monaten im Amt. Aber das ist in der Berliner SPD mit ihrem überdurchschnittlichen hohen Verschleiß an Führungspersonal schon eine beachtliche Zeit.

So meint auch der frühere Bau- und Finanzsenator Klaus Riebschläger (59), dass die Partei schon zu viele Vorsitzende verschlissen hat. Was ihn nicht davon abhält, nach einem höflichen Lob Strieders Rücktritt zu fordern. Riebschlägers Motiv liegt auf der Hand: in Strieders Personalpaket für den Landesvorstand war für den Elderstatesman aus Proporzgründen kein Platz. Als Alternative zu Strieder schlug Riebschläger gestern Parteivize Hermann Borghorst vor. Der hat indes noch nicht erklärt, ob er für eine Kandidatur bereit steht.

Riebschläger und Fichter blieben mit ihrem Vorstoß gestern zunächst alleine, doch welche Dynamik die Debatte entwickelt, lässt sich kaum absehen. Vor Wochen schon hatte die Bundes-SPD ein Gerücht lanciert, dass sich gegen Strieders Ambitionen richtete, im Wahlkampf 2004 Spitzenkandidat zu werden. Plötzlich wurde Kulturminister Michael Naumann für die Aufgabe ins Spiel gebracht.

Und auch an der SPD-Basis weht Strieder ein scharfer Wind entgegen. Der Unmut über die große Koalition ist groß. Strieder wird angelastet, dass er der Partei nach der herben Wahlniederlage vom vergangenen Herbst noch kein stärkeres Profil gegeben hat. Bei zwei Kreisdelegiertenversammlungen fiel Strieder bei der Nominierung für den Parteivorsitz durch. Die Delegierten stimmten für seinen aussichtslosen Gegenkandidaten, den 38-jährigen Stefan Grönebaum. Nach zwei Niederlagen heißt es parteiintern: „Noch so ein Ding, und Strieder kann sich die Karten legen.“ WIN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen