■ SPD präsentiert ihr Konzept für eine Steuerreform: Solide und ohne Überraschung
Bei den Wahlen in England und jetzt auch in Frankreich hat sich gezeigt: Die Zeit ist reif für linke, genauer gesagt, für soziale Parteien. Gerade in Krisenzeiten besteht das Bedürfnis nach Sicherheit. Wer arm ist oder von Armut bedroht – und das werden immer mehr –, möchte um keinen Preis riskieren, noch weiter abzurutschen. Und selbst wer heute relativ gut verdient, spürt, daß es eines Tages auch ihn selbst treffen kann.
Für tiefgreifende, verunsichernde Reformen, so etwa beim Steuerrecht, ist in solchen Zeiten wenig Platz. Die Sozialdemokraten, die gestern ihr Steuerkonzept vorstellten, konnten lange genug beobachten, daß die Koalition mit ihrem eigentlich verführerischen Vorhaben, die Steuerzahler netto um 30 Milliarden Mark zu entlasten, vor allem auf Skepsis stieß. Die Hoffnung auf die positive Wirkung von Zaubertricks ist gering, das Mißtrauen, daß es doch wieder die Einkommensschwachen ausbügeln müssen, groß. Bloß keine Experimente! Die Menschen verlangen gerade in diesen Zeiten nach einem vertrauenswürdigen, soliden Konzept.
Dennoch wissen sie, daß es ohne Reformen kaum geht. Ein „weiter so“ würde den unhaltbaren Zustand von über vier Millionen Arbeitslosen nur verschärfen. In diesem Spannungsverhältnis befindet sich die SPD. Ihr lang angekündigtes Steuerkonzept wirkt gegenüber dem der Regierung, das eine drastische Senkung der Steuersätze vorsieht, fast schon bieder. Hier ein bißchen die Steuersätze runter, dort ein wenig entlasten, diese und jene Steuervergünstigungen abschaffen. Hoffnung auf schlagartig bessere Zeiten macht dieser Entwurf nicht. Immerhin wirkt er seriös. Und gemessen am Status quo handelt es sich schon um eine relevante Reform.
Schließlich geht es um ein Volumen von 80 Milliarden Mark. Die Lohnnebenkosten sollen sinken und damit die Arbeitskosten; die Durchschnittsfamilie soll mehr verdienen und damit die Nachfrage gestärkt werden, und diejenigen, die sowieso nicht all ihr Geld ausgeben können, sollen nur um soviel entlastet werden, wie sie durch das Schließen von Steuerschlupflöchern stärker belastet werden. All das sind Maßnahmen, die auch die Koalition mittragen kann. Besser als der Ist-Zustand sind sie allemal. Im Unterschied zur SPD will die Koalition allerdings erheblich weiter gehen. Sollte ihr ein besserer Entwurf gelingen – um so besser. Koalition: Anfangen! Markus Franz
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