SPD präsentiert Wahlkampfteam: Die Frauen sollen es wenden
SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier hat sein Schattenkabinett vorgestellt: Alle Minister sind an Bord - außer Ulla Schmidt. Und die Hälfte des Teams sind Frauen. Das ist die Botschaft.
POTSDAM taz | Betont forsch tritt Frank-Walter Steinmeier ans Mikro. "Sie sehen einen gutgelaunten Kanzlerkandidaten der SPD", sagt er etwas zu fröhlich. Jetzt soll der Wahlkampf der SPD beginnen.
Angela Merkel ist im Urlaub, Ulla Schmidt im letzten Moment aus seinem Kompetenzteam verbannt. Nun soll endlich gelingen, was bei der Europawahl scheiterte. Die SPD-Spitze will in einem autosuggestiven Akt das Gefühl verbreiten, dass noch alles drin ist. "Die Lage", sagt Parteichef Franz Müntefering, "ist offen."
Steinmeiers Team nennen die Genossen nicht Schattenkabinett, was angesichts der bescheidenen Aussichten der SPD wohl richtig ist. Das Team besteht aus 18 GenossInnen, aus allen MinisterInnen, minus Ulla Schmidt - und vielen Unbekannten. Und es besteht zur Hälfte aus Frauen.
Das soll eine Botschaft sein. Vor allem dass die Militärexpertin Ulrike Merten Verteidigungsministerin werden soll, hebt Steinmeier hervor. Und dass das Team jung ist - so wie Manuela Schwesig, 35, die Schweriner Sozialministerin, die der SPD-Familienpolitik ein Gesicht geben soll. Oder Carola Reimann, 42, die für Hochschule verantwortlich ist.
Jung und weiblich, so will die SPD gesehen werden, auch wenn nur ein Drittel des Teams unter 50 ist. Im Grunde ist dieses Team nicht sonderlich spektakulär: Viele haben nur in Fachkreisen einen Namen, so wie die Abgeordnete Dagmar Freitag, die sich um Sport kümmern soll, oder die bisherige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Karin Evers-Meyer. Oder Barbara Kissler, die für Kultur zuständig ist. Steinmeier versichert zwar, dass er als Kanzler "die Gleichstellung deutlich voranbringen wird" - die meisten Schlüsselfiguren in seinem Team sind Männer.
Überraschend und vielleicht am auffälligsten ist die Nominierung von Harald Christ, 37, einem offen schwulen erfolgreichen Unternehmer, der als Schatzmeister der SPD-Hamburg und Genosse seit 26 Jahren auch eine vorzeigbare SPD-Karriere hat. Der einzige Juso, der es zum Millionär gebracht hat, witzeln manche.
Wie es mit der SPD weiter gehen soll, skizziert Franz Müntefering - Steinmeier verliert sich mal wieder im Außenminister-Sound, in dem "Zukunftsfragen verantwortungsvoll gelöst werden". Die SPD, sagt Müntefering, steht gesellschaftlich für das Liberale, und für einen starken Sozialstaat. "Wir müssen gewinnen" sagt Müntefering, denn mit Schwarz-Gelb kommen "Steuersenkungen für Reiche, längere Laufzeiten für AKWs und die Privatisierung des GeSundheitssystems". Aber es kristallisiert sich deutlich heraus, dass Schwarz-Gelb der letzte Ball der SPD im Wahlkampfspiel ist.
Doch auch da befindet sie sich in heikler Rollenkonfusion. Vieles, was die Große Koalition getan hat, geht auf ihr Konto - vom Elterngeld, das von der Leyen nur aus der Schublade geholt hat bis zum Mindestlohn für einzelne Branchen, von der Rente mit 67 bis zum Konjunkturprogramm. Die SPD regiert seit elf Jahren und irgendwie fällt es da schwer, einen Erregungswahlkampf gegen Schwarz-Gelb inszenieren. Zumal das ja ausgerechnet die Parteien sind, mit denen Steinmeier & Co regieren will.
Und es ist wohl Müntefering, den dieses SPD-Tief am ehesten den Job als SPD-Chef kosten wird. Sein Ruf basiert darauf, dass er "Wahlkampf kann". Das hat er selbst immer und immer wieder gesagt, die Partei hat es geglaubt. 1998 hat er für Schröder die Kampagne organisiert, 2002 und 2005 war er daran beteiligt, dass die Partei im allerletzten Augenblick doch noch die Kurve bekam.
Wenn die Wahl nun schief geht, ist es vor allem seine Niederlage. Außerdem wird Frank Walter Steinmeier, wenn er den 27. September politisch überlebt, Parteichef werden müssen. 28, 8 Prozent bekam die SPD 1953, ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt. Derzeit wären viele damit schon zufrieden. Dieses Team hat einen symbolischen Wert - viel mehr nicht. Es zeigt, wie die SPD sich inszenieren will. Eine Vorentscheidung, wer wirklich Minister wird, wenn sich die SPD doch noch mal in die Große Koalition rettet oder wer in der Post- Steinmeier SPD den Ton angeben wird, ist es nur bedingt.
Mit einer Ausnahme. Andrea Nahles, die für Bildung und Integration zuständig ist. Ihr Fachgebiet Arbeit und Soziales ist Revier von Minister Olaf Scholz, Doch Bildung symbolisch eine fats gleichwertiger Ersatz. Nahles war früher eine Führerin der Parteilinken, seit sie stellvertretende Bundesvorsitzende ist, ist sie inhaltlich undeutlicher und leiser geworden. Dafür hat sie bei den anderen Flügeln, bei Seeheimern und Netzwerkern, an Ansehen gewonnen. Sie hat alle Abstürzen der SPD, von Ypsilantis Desaster in Hessen über den Putsch gegen Kurt Beck bis zur verlorenen Europawahl unverletzt überstanden.
Egal, ob die SPD am 28. September in die Opposition geht oder weiter regiert, egal ob Steinmeier geht oder SPD-Chef wird, die geschickte Andrea Nahles wird in der SPD etwas zu sagen haben. Mehr als bisher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“